Dem Kontext entrissen
Diese Form der kulturellen Aneignung hat auch Niederschlag im Manifest über einen radikalen Staatsumbau der USA, dem „Project 2025“ gefunden, das Ultrakonservative für Trump verfasst haben – auch mit einem diametral falsch interpretierten Zitat. Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung war ein Biograf namens Eric Metaxas, der die Widerständigkeit Bonhoeffers ihres geschichtlichen Kontexts entriss und ihn als Vorbild dafür modellierte, dass man sich vom „linken Mainstream“ bis zum „Deep State“ – je nach Verschwörungstheoretikergrad – allem entgegenstellt, was nicht ins „Make America great again“-Weltbild passt. Notfalls auch mit Waffengewalt. Siehe Sturm auf das Kapitol.
Pistole auf der Bibel
Metaxas, der auch Radiomoderator und natürlich Impfgegner ist, hielt unter anderem die Biden-Administration für eine autoritäre Regierung und postet mitunter Fotos von der Bibel, auf der eine Pistole liegt. Schon 2010 hat er ein viel gelesenes Buch namens „Bonhoeffer: Pastor, Martyr, Prophet, Spy“ („Pastor, Märtyrer, Prophet, Spion“) veröffentlicht. Sehr ähnlich heißt nun ein neuer Film über den berühmten Theologen, der diese Woche in den US-Kinos angelaufen ist: „Bonhoeffer: Pastor, Spy, Assassin“ (Pastor, Spion, Attentäter“). Er wirbt mit einem Plakat, das den friedlichen Nazigegner mit einer Pistole in der Hand zeigt.
Nicht nur diese Geschichtsklitterung hat die Nachkommen Bonhoeffers im Oktober zu einem öffentlichen Aufschrei motiviert. In der „Zeit“ kritisierten sie, dass „das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird“. Und „niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchen, ihn zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert.“
"Fassungsloser" Regisseur
Eine ganze Reihe deutscher Schauspieler, von Jonas Dassler in der Titelrolle über Moritz Bleibtreu bis zu August Diehl spielen in dem Film mit. Sie haben sich in einem Statement gegen die Vereinnahmung gewehrt. Inszeniert und geschrieben wurde der Film von Todd Komarnicki, von dem etwa das Drehbuch des Flugzeugdramas „Sully“ stammt. Er hat der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt, es mache ihn „fassungslos“, dass sein Film nun als Teil der rechten Propagandamaschine gesehen werde. Dass Bonhoeffer auf dem Plakat eine Pistole hält, sei nicht seine Entscheidung gewesen, er habe das auch für falsch gehalten. Sein Film stelle Bonhoeffer auch gar nicht als Attentäter dar, eine Szene, wie sie das Plakat suggeriert, gibt es gar nicht.
Die Marketing-Entscheidungen hat die Produktionsfirma Angel Studios getroffen. Das ist ein extrem konservativ geprägtes Medienunternehmen, das bis vor Kurzem auch hinter einem der großen Religionsserien-Hypes der vergangenen Jahre (die vielstaffelige Jesus-Erzählung „The Chosen“) steckte. Kein anderes Studio hätte Komarnicki versprechen wollen (oder können), einen doch eher nischenhaften Film auf 2.000 Leinwänden in den ganzen USA zu starten. Dass eine solche Firma einen Bonhoeffer-Film in eine bestimmte Richtung drehen würde, hat für den US-Filmemacher aber keine Überraschung sein können. Vielleicht hat er ja auch hoffnungsvoll auf Bonhoeffers Liedzeilen gebaut: „Von guten Mächten wunderbar geborgen / erwarten wir getrost, was kommen mag.“
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