Die Zentrale der Hitlerjugend wurde zur "Location" für "Events"

Ausschnitt des Buchcovers
Häuser mit Vergangenheit: Ein Buch über Gedächtnisorte, die keine sein können, weil lieber nicht daran erinnert wird.

Das Buch "Das nationalsozialistische Wien" von Robert Bouchal und Johannes Sachslehner führt zu Gedächtnisorten der Stadt – die allerdings oft keine sein können, weil nichts daran erinnert, dass diese Häuser im Brennpunkt der NS-Herrschaft standen.

Drei Beispiele.

Albertgasse 35 in der Josefstadt: Heute im Besitz eines privaten Investors. Viel Marmor und dunkle Eiche. Vom großen restaurierte Saal wird vom Architekten die "herrschaftliche Symbolik" hervorgehoben. Man kann "die Location" mieten ... für "Events".

1938 war das Haus von den Nazis beschlagnahmt worden. Einquartiert wurde das Hauptquartier der Hitlerjugend, "die Zentrale der großen Verführung" (die Autoren). Im Keller waren Gefängniszellen für Jugendliche eingebaut worden.

Keine Tafel informiert.

Theobaldgasse 19 in Mariahilf: Wenige Schritte von der Mariahilfer Straße entfernt. Im Parterre ist ein Restaurant. Das Haus mit Vergangenheit ist öffentlich nicht zugänglich – man erkennt, falls kurz die Tür aufgeht, im Stiegenhaus die berühmten Keramikfliesen der jüdischen Firma Viktor und Adolf Schwadron (Dianabad, Amalienbad).

Hier lag die Zentrale der Deutschen Arbeitsfront, einer Organisation, die anstelle der zerschlagenen Gewerkschaften eingesetzt wurde und den Anschein erweckte, sich um die Arbeitnehmer zu kümmern. Einkassiert wurden 1,5 Prozent des Lohns der 25 Millionen Mitglieder.

Kenyongasse 4 in NeubauDie Klosterschule war dem Orden weggenommen worden, in jedes Klassenzimmer wurden bis zu 200 Juden hineingepfercht, im Turnsaal mussten die Inhaftierten zur "Unterhaltung" der SS Gymnastik üben. In dem Sammellager wurde gemordet und gefoltert – Ernst Benedikt, Chefredakteur der Neuen Freien Presse, überlebte: "So absurd das klingt, aber nach der Kenyongasse war Dachau fast eine Erleichterung."

Es gibt keine Gedenktafel. Man kann sich nicht durchringen. Im Keller der nach dem Krieg wiedereröffneten Schule bemerkten die Buchautoren Bodenfliesen, deren Ornamente an Hakenkreuze erinnerten ...

Bouchal/Sachslehner: "Das nationalsozialistische Wien"

Molden Verlag. 240 Seiten. 26,90 Euro.

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