Die "Weltsensation" ist eine putzmuntere Kleinigkeit
Morgen, Montag, erscheint ein neuer Roman des Amerikaners Walt Whitman. Das kommt überraschend.
1.) Weil Whitman vor allem als großer Lyriker bekannt ist – und wenn man jetzt seine 154 berühmten Gedichte in "Leaves of Grass" (absurderweise) ignoriert, so bleibt doch zumindest der Film "Der Club der toten Dichter" in Erinnerung: wenn sich alle Schüler auf ihre Tische stellen, aus Respekt für ihren Lehrer – für Robin Williams sowieso; und sie rufen:
"O Captain! My Captain!"
(...My Captain does not answer, his lips are pale and still ...")
DAS ist Walt Whitman.
Whitman war Amerika.
2.) Weil der Dichter seit 1892 tot ist.
Waisenknabe
Kann ja sein, dass es eine "Weltsensation" ist.
Wichtiger ist aber eher: "Jack Engles Leben und Abenteuer" ist eine hübsche Kleinigkeit. Putzmunter, mit Witz erzählt und ohne Scheu, gegebenenfalls sentimental zu sein wie Dickens’ Bücher.
Charles Dickens wird hier mit voller Absicht liebevoll amerikanisiert.
Jack Engles ist ein blonder Waisenknabe, um den sich ein lieber New Yorker Milchmann kümmert. Zum Anwalt lässt er Jack ausbilden, und der Anwalt ist ein Fiesling, aber zuletzt mit kreideweißem Gesicht, denn seine selbstsüchtigen Pläne werden durchkreuzt.
Die Geschichte erschien 1852 in der Sunday Dispatch in Fortsetzungen. Eine kurzlebige New Yorker Tageszeitung war das, in Archiven kaum noch zu finden.
Autor wurde keiner genannt. Schlampig – so informiert Wieland Freund, Literaturkritiker von der Welt, im Nachwort – stand zu lesen es handle sich um die Abenteuer von JACK ENGCE.
Aber Whitman hätte auch dann nicht in Verbindung mit seinem Roman gebracht werden wollen, wäre ohne Setzfehler gedruckt worden.
Geld wollte er verdienen, um es sich leisten zu können, an seinen "Grasblättern" arbeiten zu können. Was er parallel tat. Whitman war ja sogar so flexibel, nebenbei einen Ratgeber für die Gesundheit zu verfassen.
Ein detektivischer Literaturwissenschaftler der Universität Houston, Texas, kam ihm nach 165 Jahre auf die Schliche ...
In den nächsten Wochen werden noch zwei deutsche Verlage eigene Übersetzungen auf den Markt werfen.
Mit Verlaub: Es wär’ nicht notwendig.
Walt Whitman:
„Jack Engles Leben und Abenteuer“
Übersetzt von
Renate Orth-Guttmann und
Irma Wehrli.
Manesse Verlag.
192 Seiten. 22,70 Euro.
KURIER-Wertung: ****
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