Die Welt aus der Bettperspektive

Walter Pichler: Schlafsaal, 1968
Wiens Galerien rufen „Das Jahrhundert des Betts“ aus. Warum das Thema in der Kunst so präsent ist.

Wenn es stimmt, dass die Kunst eine Art Frühwarnsystem für gesellschaftliche Entwicklungen darstellt, dann sind wir auf dem besten Weg dazu, eine Gesellschaft von Bettlägrigen zu werden.

Ein Vorbote war das zerpflückteBett der britischen Künstlerin Tracey Emin– es wurde 1998 unter viel Skandal-Rummel erstmals ausgestellt und vom Werbeguru Charles Saatchi um damals 150.000 Pfund erworben. Vergangenen Juli wechselte es bei Christie’s um 2,54 Millionen Pfund (3,18 Millionen Euro, inkl. Prämien) den Besitzer.
Doch der künstlerische Blick ins Bett – und aus dem Bett auf die Welt – hat auch anderswo Konjunktur. In Wien startet am Donnerstag der von der Kreativagentur departure ausgerichtete Galerienschwerpunkt „Curated By“, der heuer unter dem Motto „The Century of the Bed“ (Das Jahrhundert des Betts) steht – und es ist nicht die einzige Betten-Schau in der Stadt.

Ein Ort der Unruhe

Für die US-Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina, die den konzeptuellen Rahmen für das „Curated By“-Projekt vorgab, lösen sich derzeit die getrennten Sphären von Ruhe und Arbeit und von Nacht und Tag, die sich in Folge der industriellen Revolution entwickelten, in einer durchtechnisierten Betten-Landschaft auf: Laut einem Bericht des Wall Street Journal würden bereits 80 Prozent aller jungen New Yorker Berufstätigen regelmäßig vom Bett aus arbeiten. „Sich hinlegen heißt nicht mehr zur Ruhe kommen, sondern sich bewegen“, schreibt die Wissenschafterin. „Das Bett ist jetzt Schauplatz des Handelns. Es ist zur ultimativen Prothese geworden.“

Historische Vorbilder

Die Welt aus der Bettperspektive
BILD zu OTS - Yoko Ono und John Lennon 1969, im Bett gegen den Vietnam-Krieg, Foto: epa/picturedesk.com
In der Kulturgeschichte gibt es zahlreiche Figuren, die bereits Erfahrung mit einem Leben im Bett gemacht haben. Colomina verweist auf die Schriftsteller Marcel Proust und Truman Capote, die im Bett zu arbeiten pflegten, aber auch auf Yoko Ono und John Lennon, die 1969 in einem Hotelbett Hof hielten.

Ein weiterer Pionier ist Playboy-Gründer Hugh Hefner, der den Morgenmantel zu seiner Uniform machte – und sich ein Bett mit allen erdenklichen Finessen als Arbeitsstätte bauen ließ.

Der Künstler Carsten Höller wiederum konstruierte – ohne direkten Bezug auf Hefner – ein UFO-artiges „Aufzugsbett“, auf dem man im Raum schweben kann; es ist derzeit bei TBA21 im Wiener Augarten zu sehen.

Das Bett ist hier eine Wundermaschine, die einen privilegierten Standpunkt erlaubt. Von dieser Idee ist es gedanklich nicht weit zu den barocken Parade-Betten, in denen etwa der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. das Aufstehen als Staatsakt zelebrierte.

Kein Entrinnen

„Ich sehe den aktuellen Umschwung aber weniger als eine Rückkehr zur aristokratischen Position, sondern eher als eine ganz neue Verfasstheit“, sagt Colomina im KURIER-Interview. „Sie ist demokratisch, aber birgt auch Gefahren. Wir benehmen uns heute so, als ob wir alle Künstler wären – wir nehmen Kleidungsvorschriften locker, haben flexible Arbeitszeiten, arbeiten von zu Hause. Doch sogar, wenn wir glauben, nicht zu arbeiten – und etwa auf der Suche nach Schuhen oder Reiseangeboten im Netz surfen – arbeiten wir, denn wir produzieren Daten, die zu Geld gemacht werden.“

Ein Grundgedanke des „Curated By“-Projekts, sagt die Theoretikerin, sei daher die Feststellung, „dass wir nicht mehr wissen, was das Bett ist“. Künstler könnten helfen, hier neue Perspektiven zu finden. „Das Bett dient dabei nur als ein Akupunktur-Punkt“, sagt sie. „Es ist mit allen Kräften verbunden, die unsere Situation in der Welt heute prägen.“

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Betten schauen

In 20 Wiener Galerien laufen von 2. 10. bis 8. 11. Ausstellungen zum Thema „The Century of the Bed“ (www.curatedby.at).

Carsten Höllers „Aufzugsbett“ ist bis 23. 11. bei TBA 21 Augarten zu sehen (www.tba21.org) .

Ab 28. 1. 2015 zeigt das 21er Haus die Schau „Schlaflos“ (www.21erhaus.at).

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