"Die Wasserfälle von Slunj": Heranrauschender Schmerz in Reichenau

Verhängnisvolles Dreieck: Vater Robert (Daniel Jesch, li.), Sohn Donald (Skye MacDonald, rechts) und Monica (Johanna Mahaffy)
Eigentlich ist es erstaunlich, dass Heimito von Doderers „Die Wasserfälle von Slunj“ noch nie zuvor bei den Festspielen in Reichenau auf dem Programm gestanden sind. Immerhin wird der Ort sogar dezidiert in dem Roman erwähnt. Und nicht nur so nebenbei, sondern in einem zentralen schwärmerischen Dialog über die technische Erhabenheit der Semmeringbahn. Ein Gespräch zwischen dem Industriellen Robert Clayton und Monica Bachler, dem Schwarm seines Sohnes, das den Lauf der Erzählung in eine ganz neue, zerstörerische Richtung lenken wird.
Der letzte vollendete Roman von Doderer handelt – auf das Minimalkonzentrat heruntergebrochen – von einem britischen Industriellen, der im Wien des endenden 19. Jahrhunderts eine Maschinenfabrik gründet. Bei seiner Hochzeitsreise mit Frau Harriet – die die beiden auch zu den titelgebenden Wasserfällen in Slunj mit ihren verschachtelten Mühlen führt – entdeckt Robert Clayton seine Liebe zu Wien. Doderer umspült den Erzählstrang der Clayton-Familie mit einem reichen Panorama an Wiener Charakteren der damaligen Zeit.
Notwendige Verschmälerung
Eine Theaterfassung ist kein leichtes Unterfangen bei diesem Schriftsteller, mit seinen Ausschweifungen, Abschweifungen und üppigem Personalstand. Nicolaus Hagg ist das trotzdem sehr gut gelungen, wie die Premiere am Sonntag zeigte. Er konzentriert sich in Reichenau auf die Clayton-Familie und einige wenige Personen, die die Handlung vorantreiben – und für die den Schauspielern auch die nötige Zeit bleibt, sie mit Leben zu füllen.
Da gibt es Josef Chwostik (David Oberkogler), den Kanzleichef von Robert Clayton, er wandelt sich vom breit Wienerisch polternden Kerl im zerknitterten Mantel zum hochdeutsch sprechenden Herrn, der sogar Golf spielt. Da gibt es den kroatischen Hoteldirektor Andreas Milohnic (Rafael Schuchter), der Chwostik seinen Job bei Clayton verschafft, einen Mann, der für alles einen Ausweg und einen Rat weiß. Die homoerotische Chemie zwischen den beiden ist hier mehr als nur Andeutung.
Dirnen als Wahltanten
Finy (Johanna Arrouas) und Feverl (Bettina Schwarz) sind zwei Prostituierte, die zu Beginn in einer sehr speziellen WG mit Chwostik leben. Beide sind Badefanatikerinnen und deswegen vor Ort, als die kleine Monica Bachler in den Donaukanal kullert. Die Rettung des Kleinkinds wird das Leben der zwei Frauen ändern: Die Mutter organisiert ihnen Stellen auf einem ungarischen Gutshof. Im Buch entledigt sich „der Romanautor“, wie Doderer schreibt, dieser Figuren quasi händeabputzend. Auf der Bühne bleiben sie der Geschichte als Wahltanten von Monica erhalten – eine gute Idee, ihre komödiantischen Auftritte sind willkommene Auflockerung. Selbigen Effekt erzielt auch Günter Franzmeier als schusselig-weinseliger Anwalt Dr. Eptinger, wegen seiner Wortfindungsschwierigeiten von Robert Clayton auch Dr. Dings genannt.
Die andere Seite des gesellschaftlichen Spektrums verkörpert Gräfin Emilia Ergoletti (Sona MacDonald), die sich den jungen Zdenko von Clamtatsch (Markus Freistätter) anlacht. Sie ist auch zuständig für den prophetischen Ausspruch „Väter sind Raubtiere“, der nicht nur auf Zdenkos Vater zutrifft, sondern auch Robert und Donald Claytons Beziehung in dramatischer Weise treffend bezeichnen wird.

Moderne Frau
Kreative Freiheiten nimmt sich Hagg bei Harriet (Emese Fay), Frau von Robert und Mutter von Donald, die nach ihrem Tod weiter als Geist oder Traumerscheinung auftritt. Monica Bachler (Johanna Mahaffy) - nach einem Zeitsprung erwachsen und als quirlige, moderne Frau im Zentrum der amourösen Aufmerksamkeit erst von Sohn Donald, dann von Vater Robert – widmet die Regie von Beverly Blankenship viel Raum. Dass sie den munteren Robert (Daniel Jesch) seinem antriebsschwachen Sohn Donald (Skye MacDonald) vorzieht, ist jederzeit nachvollziehbar.
Schmerzensschrei
Die Bühne, die Alexandra Burgstaller in den neuen Spielraum gesetzt hat, greift das Wassermotiv mit einer schillernden Wellenfläche aus Kunstharz auf. Dass das Wasser hier Rettung und Untergang zugleich bedeutet, bleibt dadurch immer im Bewusstsein. Ob der Schmerzensschrei des Vaters, dem bewusst wird, dass er seinen Sohn am Gewissen hat, am Ende noch ganz zu Doderer passt, sei dahingestellt. Der Botschaft über die Ausweglosigkeit von falschen oder nicht selbstbestimmten Lebensentscheidungen tut es freilich keinen Abbruch.
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