"Gott des Gemetzels" in Reichenau: Eltern sind die schlechteren Kinder

Vier Personen sitzen auf einer Bühne mit minimalistischem Bühnenbild und scheinen gelangweilt oder gestresst zu sein.
Laut umjubelt bei den Festspielen Reichenau: Yasmina Rezas Hitstück lässt zwei Ehepaare kunstvoll und pointenreiche eskalieren.

Am Schluss ist das Handy hin, der Hamster tot, die Blumen sind ein zerfledderter Blütenteppich und die Fassade der bürgerlichen Zivilisiertheit liegt in Trümmern. Und das Ganze ist auch noch lustig: Mit großem Jubel endete die Premiere von Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ bei den Festspielen Reichenau. 

Regisseur Philipp Hauß bringt die Eskalation zweier Ehepaare, die einander über eine Prügelei ihrer Kinder in die Haare kriegen, flott und ohne Scheu vor Lautstärke auf die Bühne. Das finessenreich streitende Luxus-Quartett – Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Lilith Häßle und Tim Werths – verstrickt sich mit viel Spielfreude in immer neue Streitkonstellationen, zur Freude des Publikums, das an interessanten Stellen wissend lacht.

Szene aus einem Theaterstück mit vier Schauspielern auf einer Bühne.

Ein Einwand

Rezas Stück ist ein Riesenhit. Und der Reichenau-Abend ist ein derart großer Publikumserfolg, dass Platz ist für einen prinzipiellen Einwand: Man hätte eigentlich hoffen dürfen, dass das Genre, das Reza mit „Gott des Gemetzels“ bedient, ähnlich im Orkus verschwinden möge wie die ermüdenden Boomer-Witze über den eigenen Ehepartner.

Denn im Grunde bedienen Stücke wie eben Rezas „Gott“, Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ oder, klassischer und tragischer, Strindbergs „Totentanz“ die selbe bedrückende Alltagstragödie wie die Ehewitze: Partner, die einander permanent ansticheln und dem anderen alles zu Fleiß machen, sind unter den unangenehmsten, wenn auch sozial akzeptiertesten Erscheinungen des bürgerlichen Lebens.

Mit solchen Leuten auch noch einen Theaterabend verbringen zu müssen, nährt eine gewisse Verzweiflung: Dieses performative gegenseitige Zerfleischen von Menschen, die einander eigentlich lieben sollten, ist im echten Leben und auf der Bühne Dokument von etwas, das im gesellschaftlichen Leben fatal schiefgelaufen ist. Auch ist die Erkenntnis, dass hinter der Fassade des modernen Menschen permanent die kaum in Zaum gehaltene Bösartigkeit arbeitet, keine übermäßig tiefsinnige.

Reza nun hat dem Genre eine wirklich flotte Neuerzählung und etwas Originelles hinzugefügt, und zwar das gut getimte Erbrechen.

Klingt komischer, als es im Fluss des Stücks ist: Dass Lilith Häßles Annette sich mittendrin ausgerechnet auf den wertvollen Kokoschka-Katalog der Houillés übergibt, eskaliert die durch pseudofreundliches Abhätscheln schon zuvor kaum in Zaum gehaltene Situation. Ab da geht’s richtig rund.

Auf einer Theaterbühne wird eine Frau von einem Mann im Arm gehalten, während eine andere Frau am Boden kniet und ein Mann mit Pelzkragen steht.

Versuchsanordnung

Im Prinzip ist es eine Versuchsanordnung der Gegenwartsklischees: Die um afrikanische Bürgerkriege und achtsame Erziehung besorgte Autorin (Köstlinger als Véronique), der innerlich bebende Schlurf (Maurer als Michel), der rücksichtlose Macho-Anwalt (Werths als Alain) und die grundgiftige Vermögensberaterin (Häßle als Annette) stehen für die von vornherein unversöhnlichen Triggerobjekte im allgemeinen ideologischen Hick-Hack. Und vor allem auch für jene überengagierten Erziehungsstreber, die man in der Elterngruppe auf WhatsApp gleich einmal stumm schaltet.

Was als nur unterschwellig aggressives Erwachsenen-Gespräch über die Tatsache, dass der eine Sohn dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen hat, beginnt, geht dann, wie das halt so ist, rasch in den elterlichen Atomkrieg mit der Moralwaffe über: Es wird in intensiven 90 Minuten alles ausgestritten, vom Medikamentenskandal, den Alain am Handy zu vertuschen versucht, über den reuelosen Hamstermord von Michel bis zum Alkoholismus und der Scheinheiligkeit Véroniques und dem bitteren Ehehass Annettes. Da gibt es viele gute Lacher, ein Aufwischhandtuch, das man am Schluss nur noch mit der Zange angreifen würde, und elegant wechselnde Fronten im Streitquartett. Und bei der Heimfahrt wieder mal die Gewissheit: Eltern sind die schlechteren Kinder.

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