Die vergessenen Frauen der Salzburger Festspiele: Vor den Vorhang!
Sie sind die Vergessenen der Salzburger Festspiele: Paula de Ahna, Ehefrau von Richard Strauss, und Else Heims-Reinhardt, verheiratet mit Max Reinhardt. Dabei hatten sie die Hosen an und waren sehr präsent.
12.07.20, 06:00
Von Sophie Reyer
Kaum je hat jemand es gewagt, die spannende Frage zu stellen: Wer waren sie? Welche vergessenen Frauen hielten die Welt hinter den Kulissen der Salzburger Festspiele zusammen? Dass das besondere Festival, das sich heuer eines hundertjährigen Bestehens erfreuen darf, von Männern gegründet wurde, ist freilich schon lange kein Geheimnis mehr! Doch welche hegenden Energien standen hinter diesen spannenden Individuen?
Biografie einer Künstlerin
Ja, auch das Leben eines Richard Strauss steht und fällt, so genial er in seiner Eigenständigkeit auch sein mag, mit einer Frau. Die Rede ist von Pauline Maria Strauss-de Ahna, die oft auch nur mit Paula de Ahna betitelt wird. Dass die am 4. Februar 1863 in Ingolstadt geborene Dame eine Sängerin war, weiß heute kaum noch jemand.
Bekannt ist die deutsche Sopranistin, wenn überhaupt, nur noch als Gattin des zweifellos grandiosen Komponisten Richard Strauss. Doch ihre Biografie hat mehr zu bieten: Als Tochter des bayerischen Armeegenerals Adolf de Ahna geboren erfreut sich Pauline schon seit ihren Kindheitstagen künstlerischer Kontakte: Nicht nur ist sie die Nichte der Berliner Hofopernsängerin Eleonore de Ahna und des Geigers Heinrich de Ahna, sie beginnt bereits früh mit Klavier – und Gesangsunterricht, der von ihrem liebenden Elternhaus gefördert worden sein mag. Schon bald lernt Pauline auch den Kapellmeister Richard Strauss kennen, und wie die Fakten zeigen, muss sie sofort Feuer gefangen haben: De-Ahna folgt dem Komponierenden kurz darauf an die Weimarer Hofoper und lässt sich von ihm unterrichten. Und das, wie es scheint, erfolgreich. So darf Pauline schon am 22. Mai 1890 als Pamina in "Die Zauberflöte" debütierten. Die Premiere scheint ein voller Erfolg zu sein, schenkt man dem, was kommt, Glauben: Ja, gleich naht nämlich der nächste Auftrag, sodass Pauline noch im Dezember desselben Jahres die Rolle der Eva in "Die Meistersinger von Nürnberg" zugeteilt bekommt, gefolgt von der Partie der Elisabeth in Tannhäuser.
Damit nicht genug: Auch Kinderopern zählen fortan zu ihrem Repertoire. Dergestalt brilliert die spätere Gattin des Komponisten am 23. Dezember 1893 als Hänsel bei der Uraufführung von "Hänsel und Gretel" in der Hochburg Weimar. Auch privat folgen einige positive Wendungen: Offenbar hat der um einiges ältere Richard Strauss sich in die junge Frau verliebt, die Konsequenz daraus lässt sich erahnen: Richtig, die beiden schließen im Jahre 1894 in der Burgkirche St. Veit in Marquartstein den Bund der Ehe! Ob Richard Strauss wohl eher ein eifersüchtiger oder ein stolzer Gatte gewesen sein mag? Eines jedenfalls steht fest: Pauline Strauss-de Ahna tritt weiterhin als Sängerin auf und feiert große Erfolge auf den Musikbühnen. Nun führt ihr künstlerischer Werdegang sie über Bayreuth, Berlin, Braunschweig, Brüssel, Hamburg, Karlsruhe, ja, sogar bis hin zu Madrid. Kein Wunder – mit so einem Gatten ist sie quasi an der Quelle, und Inspiration und Freude mit dem Medium Musik scheinen zu sprudeln! Aber das ist freilich nicht alles: Neben ihrer eigenen Bühnenpräsenz wird die junge Pauline nach und nach – es ist wohl der Liebe geschuldet – zu einer hervorragenden Interpretin Strauss’scher Lieder.
Ein romantisches Märchen?
Das Paar muss sich, wie viele Konzerte und Liederabende beweisen, in sehr hohem Maße gegenseitig befruchtet haben. Was folgt, sind florierende Tage: Zusammen mit ihrem Gatten bestreitet Pauline Strauss-de Ahna eine Fülle an Konzerten und Liederabenden. Die gemeinsame Entwicklung gipfelt in einer drei Monate dauernden Konzertreise durch die USA im Jahre 1904, in der das Ehepaar durch New York, Philadelphia, Boston, Pittsburg, Chicago sowie Washington streift und seine Triumphe feiert. Das liest sich fast wie ein romantisches Märchen, oder? Ja, tatsächlich: Zärtlich klingt der Gatte, wenn er in Briefen über die Erfolge seiner Frau berichtet, und weiters lobt er, wie famos sie alle Anstrengung der Reisen zu überstehen weiß. So lässt Richard Strauss in einer seiner Schriften lesen, dass Pauline sämtliche Strapazen famos ertrage. Sieben Tage soll sie laut gesungen haben, nacheinander, ohne Unterbrechung – und der Erfolg bleibt nicht aus, denn fast bei jeder Aufführung kommt es zu mindestens drei Dacapos.
Legende in der Kunstszene
Man sollte nicht glauben, dass es sich bei Pauline um ein braves Lämmchen gehandelt haben mag, das sich demütig hinter ihrem Mann versteckte. Im Gegenteil: Diese Frau hatte, wie die Recherche ergibt, die Hosen an! So skizziert auch Alma Mahler, das "Femme-fatale-Schlachtschiff" der damaligen Künstlerszene, Pauline als burschikose, direkte Person, die eine beinah brüske Art aufweist. Ja: Bald schon ist Pauline eine Legende in der Szene. Man sagt ihr großen musikalischen Instinkt, jedoch auch eine gewisse Taktlosigkeit nach. So hat sie sich wohl in einem Streit dem berühmten Werfel gegenüber recht abschätzig geäußert, was noch heute zum Schmunzeln anregt. Aber auch sonst sagt Pauline, schenkt man den Quellen Glauben, offenbar immer genau das, was sie denkt! Und Strauss mag sie dafür geliebt haben. Denn: Warum sonst setzt er selbst seiner Frau in der Figur der Christine in der autobiografischen Oper Intermezzo ein so besonderes Denkmal? Auch kinderlos war diese offenbar glückliche Ehe nicht; denn Pauline gebiert Richard schon nach einigen Jahren der Beziehung einen Sohn. Berührend an dieser Symbiose ist jedoch auch ihr Ende: Im hohen Alter nämlich zieht sich das Strauss-Ehepaar nach Garmisch-Partenkirchen zurück, wo beide kurz hintereinander sterben. Fast wie bei den Seepferdchen. Das alles klingt nach einer funktionierenden Gemeinschaft. Aber warum ist Pauline im Gegensatz zu Richard eigentlich in Vergessenheit geraten?
Nicht nur hinter Richard Strauss verbirgt sich eine eigenwillige und unkonventionelle Gattin. Auch Max Reinhardt war mit einer Dame verheiratet, die wusste, wo’s lang ging: Die Rede ist von Else Heims-Reinhardt, geboren am 3. Oktober 1878 in Berlin.
Als simple Tochter eines Tischlermeisters, genannt Ernst Heims, der in der Stuhlfabrik "Christoph Heims und Söhne" beschäftigt ist, besucht sie zunächst brav die Volksschule und arbeitet in der Buchhaltung. Aber Else will an ihre Grenzen gehen, ist neugierig und möchte die Welt entdecken: Bald schon nimmt sie Schauspielunterricht bei Gustav Kober, und die Arbeit scheint Früchte zu tragen. So nimmt man Else Heims schon im zarten Alter von 19 Jahren in das Ensemble von Otto Brahm am Deutschen Theater auf.
Familie Reinhardt
Eine schicksalhafte Wendung: Denn hier lernt die junge Frau auch Max Reinhardt kennen, der bereits seit 1894 der Truppe angehört. Was folgt, sind erste Auftritte: Am 15. September 1897 debütiert Else Heims 1897 als "Miriam" in dem Stück "Johannes". So startet sie durch und macht nach und nach Karriere. Bereits früh bahnt sich eine Liebesbeziehung zwischen Heims und Reinhardt an, und Else stützt in Folge auch alle seine Entwicklungen – begonnen bei seinen Berliner Theatergründungen – man denke hier nur an das "Kleine Theater" sowie an das "Neue Theater" – bis hin zur Übernahme der Intendanz des Deutschen Theaters im Jahr 1905. Mag ihre treue und unterstützende Haltung der Grund für die Eheschließung gewesen sein, die 1910 stattfindet? Wir wissen es nicht. Fakt ist: Bald schon bringt Else die beiden Söhne Wolfgang und Gottfried zur Welt und akzeptiert auch Raimunds uneheliche Tochter Jenny, die aus einer anderen Beziehung stammt, mit Großmut.
Das Leben ein Sommernachtstraum? In diesem jedenfalls tritt Heims schon bald auf. Doch damit nicht genug: Es folgen brillante Darstellungen. Stets beweist die treue Else Vielseitigkeit. So tritt sie bei einem Gastspiel im Wiener Circus Renz auf und widmet sich bald nach der Entbindung ihrer Kinder unter der Regie ihres Gatten einigen fulminanten Darstellungen, die von "Der Kaufmann von Venedig", über "Was ihr wollt" bis hin zu der schwierigen Titelrolle in "Minna von Barnhelm" reichen. Es scheint, als hätten die ringenden Frauenfiguren es der Tischlerstochter angetan. So legt Else Heims Reinhardt nämlich bald schon eine neuartige Interpretation der Kassandra in der Orestie hin, in einem extra für die Eröffnung umgebauten Schauspielhaus in Wien.
Kein Happy End
Leider aber können Symbiosen auch scheitern, wie dieses etwas weniger freundliche Beispiel einer Künstler-Beziehung zeigt: Im Jahre 1913 nämlich verliebt sich Reinhardt in die 16 Jahre jüngere Schauspielerin Helene Thimig, für die er sein gesittetes Leben kurzerhand aufgibt. Der Rest ist leider keine schöne Märchengeschichte wie im Falle von Richard und Pauline. Denn – man ahnt es – der Scheidungskrieg wütet bald schon zwischen Heims und Reinhardt. Und er zieht sich viele Jahre hin.
Auch der weitere Verlauf von Else Heims Leben gestaltet sich als weniger prickelnd: Bedingt durch die Trennung werden der als Darstellerin einst so beliebten Tischlerstochter nach 1920 kaum noch Engagements angeboten. Die Welt scheint zerbrochen. So handelt es sich bei Heims letzter Rolle – nomen est omen – auch um die Protagonistin in „der zerbrochene Krug“. Damit nicht genug, schlägt nun auch der Zweite Weltkrieg zu, woraufhin Else Heims fliehen muss und die restliche Zeit ihres Lebens pendelnd zwischen den USA und Österreich verbringt. Wie es aussieht, sind Menschen wohl sehr unterschiedlich – auch die Art und Weise, wie sie sich ihre Beziehungen gestalten, wie sie sich aneinander abreiben und vielleicht dabei zu Kristallen werden – oder auch nicht.
Eines jedenfalls ist sicher: Die Salzburger Festspiele feiern ihr 100-jähriges Bestehen. Und dass diese Frauen einen großen Teil dazu beigetragen haben, sei heute laut in die Welt hinausgerufen. Wir wollen uns freuen, dass es sie gegeben hat und uns gern an sie erinnern!
Die Autorin: Sophie Reyer hat 2019 gleich fünf Bücher herausgebracht. Sie schreibt Romane, Theater- und Filmarbeiten, Hörspiele und Lyrik. Außerdem ist sie Autorin für Kindertheater, Komponistin, Philosophin und lehrt kreatives Schreiben. Burgschauspieler Walther Reyer – in den 1960er-Jahren der "Jedermann" – war ihr Großvater. www.sophiereyer.com www.facebook.com/SophieAnnaReyer
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