Die traurigste Superman-Geschichte

Die traurigste Superman-Geschichte
Joe Shuster, einer der Väter des Helden, ist nach 80 Jahren selbst zur Comicfigur geworden - in der eigenen tragischen Biografie.

Die traurigste Superman-Geschichte ist nicht jene vom November 1992, als der Held in den Armen von Lois Lane – vorübergehend – gestorben ist.
Sondern: Ins New Yorker Hochhaus des  mächtigen Verlags National Publications   (später umbenannt in DC Comics) bringt ein Lieferant ein Päckchen in den zehnten  Stock. Er wird erkannt. Der Verleger gibt ihm 100 Dollar. Er soll sich einen neuen Mantel kaufen, sagt er ihm.
Er sagt auch, er soll sich einen anderen Job suchen. Denn es ist unangenehm, Joe Shuster zu begegnen.

Joe Shuster war, gemeinsam mit  Schulfreund  Jerry Siegel, Erfinder von Superman.
Superman kam nicht vom Planeten Krypton.
Superman kam aus Cleveland in Ohio.
Shuster,  Sohn jüdisch-russischer Einwanderer (Shusterowich) war der Zeichner. Superman entstand  auf Hinterseiten von Tapetenresten und auf braunem Butterbrotpapier. Für weißes Papier fehlte der Familie das Geld. Mutters Nudelbrett war der Zeichentisch. Freitag konnte Joe nie zeichnen, da  wurde das Brett zum Teigkneten gebraucht fürs Schabbat-Brot.

80 Jahre ist das her, dass Superman in „Action Comics“ Nr. 1. zum ersten Mal ein mit Verbrechern  vollbesetztes Auto ausleerte („.and the car, itself, smashed to bits!“).
200.000 Stück wurden 1938 ausgeliefert, eines der wenigen Hefte, die heute noch existieren, wurde 2014 um 3,2 Millionen Dollar versteigert.
Dank Superman haben sich – in den USA würde man’s etwas  anders formulieren – viele deppert verdient.
Siegel und Shuster gehörten nicht dazu.
130 Dollar (geteilt durch zwei) bekamen sie fürs erste Abenteuer und einen Zehnjahresvertrag. Hinten auf dem Scheck  mussten sie unterschreiben, dass  die Rechte an Superman auf den Verlag übergehen.
Nach zehn Jahren warf man sie hinaus. Sie hatten – erfolglos – Klage eingebracht.
Das weiß man längst, und es bleibt ein Ärgernis, aber so war das in der frühen amerikanischen Comic-book-Industrie, als Bilderhefte zunächst nur deshalb produziert wurden, um hinter diesem Geschäft Alkoholschmuggel  aus Kanada zu verstecken.
Als „Ursünde“ der Branche wird bezeichnet, wie man Zeichner und Texter ausbeutete und oft deren Namen verschwieg. Bob Kane ist ein schlimmes Beispiel: Er gilt als Batmans Erfinder. Ein gewisser Bill Finger hatte für die Fledermaus viel mehr geleistet. Erst als Finger nichts davon hatte, weil tot, gestand Bob Kane.
Für die – bei aller Dramatik – wunderschöne Comic-Biografie „Joe Shuster“ (Zeichnung oben) konnte der deutsche Autor  Julian Voloj in Briefe Shusters Einblick nehmen, die erst nach dessen Tod  1992 entdeckt worden waren.
Erst dadurch sind viele Details bekannt geworden, die  sogar einen Superman verzweifeln lassen.
Es ist keineswegs eine Erfindung, wenn man nun sieht (und liest), wie der Arbeitslose. fast blinde, durch Anwalts- und Arztkosten verschuldete kleine Mann nach einem Herzinfarkt in den 1960ern auf einer Parkbank wohnte.  Ein mitleidiger Polizist lud ihn  auf eine Suppe ein.
Als Dank bekam er eine Superman-Zeichnung.
„Sie sind also tatsächlich einer der Erfinder von Superman.“ – „Ja, aber das ist ganz schön lange her.“– „Ich will ja nicht unverschämt klingen, aber wieso sind Sie nicht reich?“

Wieso? Inzwischen war der Vater aller Superhelden  nicht nur in den Heften ein Renner, sondern auch als Comicstrip in 60 Zeitungen (20 Millionen Leser); nach den Radioshows waren erste Verfilmungen gekommen, eine erste TV-Serie war sechs Jahre gelaufen ... und dann, 1978,  sollte Christopher Reeves für die Warner Brothers fliegen.
Angeblich wurden DC für die Erlaubnis Millionen Dollar überwiesen.
Nun lieferte Jerry Siegel – der sich eine Zeitlang leichter getan hatte, Arbeit zu finden – seine zweite berühmte Arbeit ab: einen offenen Brief.
„Ich verfluche den Superman-Film! Ich hoffe, dass die ganze Welt sich des Gestanks, der Superman umgibt, bewusst wird und den Film wie eine Plage meidet ...“
Kollegen wie Neal Adams (Batman, Green Lantern) sorgten dafür, dass die Schilderung des Gestanks ein immer größeres Publikum fand.
Das war keine gute Werbung. Warner Brothers, und das ist das Ende der Geschichte, zahlte Shuster und Siegel daraufhin „freiwillig“ eine Rente – 20.000 Dollar jährlich, später 30.000 Dollar.
Nein, es ist nicht das Ende.
Am Schluss muss hier unbedingt stehen: Marlon Brando, der Supermans Vater spielte, bekam für 15 Filmminuten 3,7 Millionen Dollar.
Plus Gewinnbeteiligung.

 

 

Julian Voloj (Text) und
Thomas Campi (Zeichnung)
: „Joe Shuster
Carlsen Verlag.
176 Seiten.
20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

 

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