Das Wort „Matau“ bezeichnet in der Sprache der Māori einen Angelhaken, aber auch Wissen. „Und der Köder ist unsere Sehnsucht“, ergänzt George Nuku. Die menschliche Neugierde treibt also gewissermaßen im Wasser, stets in der Hoffnung, dass Erkenntnisse und Überraschungen anbeißen mögen.
In den Räumen des Weltmuseums, wo der aus Neuseeland stammende, in Paris wohnhafte Künstler seine bisher umfangreichste Präsentation realisiert hat (bis 31. 1. 2023), schwimmen etliche Überraschungen herum – etwa in Form von Fischen, aus alten Plastikflaschen mit Plexiglas-Flossen gefertigt und in Schwärmen von der Decke hängend.
Der Theseustempel im Volksgarten, dessen Bespielung das Weltmuseum nun innerhalb des KHM-Verbands übernommen hat, wurde überhaupt in eine Unterwasser-Kultstätte verwandelt. Kunstvoll zerschnittene und gebogene PET-Flaschen nehmen hier in waberndem blauem Licht die Form von Quallen an.
Der Müll als Schatz
Die Arbeit mit Materialien, die von unserer Gesellschaft sonst als Verpackung und Abfall begriffen werden, ist eine Klammer im Werk Nukus, der dem „Müll“ bemerkenswerte Schönheit und Vielfalt abzutrotzen vermag. Plastik, betont Nuku beim Rundgang mit Pressevertretern, werfe sich schließlich nicht selbst ins Meer – Menschen tun es. Es gelte also, die Einstellung zu diesem Material zu ändern. „Ich erhebe das Plastik zu einem Schatz.“
In Wien konnte Nuku über das Weltmuseum eine große Schar freiwilliger Helferinnen und Helfer mobilisieren, um eine tatsächlich spektakuläre Schau zu schaffen. Wo viele aktuelle Kunstprojekte bei der Auseinandersetzung mit indigenen Gemeinschaften oder der Umweltverschmutzung im Modus der Anschuldigung operieren, setzt Nuku auf Sinnlichkeit und auf Offenheit.
Bestände aus der Ozeanien-Sammlung des Weltmuseums werden ganz selbstverständlich in die Arbeiten integriert, die Nuku aus Styropor oder Plexiglas schnitzt – etwa im Falle eines aus alten und neuen Bestandteilen zusammengesetzten „Waka“ (Kanu) im Auftaktsaal, der dem Bezug der Māori zum Wasser gewidmet ist. „Raumschiffe“ seien diese Fahrzeuge, die die Ausdehnung der Māori-Kultur ermöglicht hätten, heißt es im Wandtext.
Nuku interagiert aber noch in anderer Weise geschickt mit dem Museum – auf der architektonischen Ebene etwa mit geschnitzten Fensterrahmen und Supraporten (Reliefs oberhalb der Türen). Sie streben einen Dialog zwischen indigener Ornamentik und barocken Formen an, wie er erklärt.
Entgegen der in Wien seit Adolf Loos propagierten modernen Sichtweise, die Dekoration als rückschrittlich erachtet, betont Nuku, dass der lateinische Begriff „decorum“ auch „angemessenes Verhalten“ bedeutet: „Es ist nicht einfach nur Dekoration“, insistiert er. Muster – auf Gebäuden, unserer Kleidung oder der Haut – strukturierten unser Verhalten.
Doppelbödige Exotik
Auf inhaltlicher Ebene erzählt die Schau darüber hinaus Erstaunliches über die Rolle Österreichs bei der Erkundung Neuseelands. So gelangten bei der Weltumsegelung der österreichischen Fregatte Novara (1857 – ’59) nicht nur Objekte in die Sammlungen; der Expeditionsleiter Ferdinand von Hochstetter schrieb auch das erste umfassende Buch über die Geologie der Insel und prägte so das Bild Neuseelands im Westen. Einige der Bilder des Insellebens, die damals zirkulieren, sind als großformatige Reproduktionen in die Schau integriert, umfasst von Styropor-Rahmen aus Nukus Werkstatt.
Solche Ansichten dienen heute meist als Beispiele für den exotisierenden Blick von Kolonialisten, doch Nuku selbst gewinnt ihnen Positives ab. „Es war das Instagram von vor 100 Jahren“, sagt er. Natürlich hätten die Graveure, die Skizzen der Expeditionsteilnehmer weiter verarbeiteten, diese ausgeschmückt und verzerrt: „Aber ich finde diese Verzerrungen hochinteressant.“
Zwei Māori reisten übrigens mit der Novara mit nach Wien. Bei ihrer Rückkehr nach Neuseeland brachten sie eine Druckerpresse mit, die ihnen der Kaiser geschenkt hatte. Sie diente bald dazu, eine Zeitschrift in Māori-Sprache herauszugeben, die sich gegen die Invasion der Briten stark machte: Nur einer von vielen Wissensfischen, die am Ende dieser erkenntnisreichen Schau am Angelhaken zappeln.
Kommentare