Ein Skandal mutiert zur Langeweile

Eine Probenaufnahme zur Aufführung  von Jean Genets Unterdrückten-Satire „Die  Neger“ bei den Wiener Festwochen in  der Regie von Johan Simons
Blutleer und ohne Biss: "Die Neger" von Jean Genet bei den Wiener Festwochen im Theater Akzent.

Woman is the nigger of the world. Yes, she is, think about it ...“ John Lennons Protestsong von 1972 geht immer noch unter die Haut. Eine matte Sache dagegen: „Die Neger“ von Jean Genet bei den Wiener Festwochen, koproduziert mit den Münchner Kammerspielen und dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

Jean Genet, 1986 gestorben, war der wohl bizarrste Autor jener Generation um Sartre, Anouilh und Giraudoux, die heute fast vergessen sind. Für seinen Entdecker, den Dichter Jean Cocteau, war Genet „der größte Moralist seiner Zeit“.

„Les nègres“, sein vorletztes Stück, entstand 1958, kurz bevor Frankreichs Kolonien in Afrika ihre Unabhängigkeit erklärten.

Total entschärft

Was einst durch die bewusst drastische Exhibition rassistischer Klischees, wie dem vom lustmordenden schwarzen Mann, der die weiße Frau erst missbraucht und dann umbringt, bei der Uraufführung ein Skandalstück war, ist heute ein laues Mailüfterl.

Die Brisanz des Themas hat sich nicht verflüchtigt. Aber verlagert. Die Fratze von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist heute eine andere. Und der Skandal findet nicht mehr auf der Bühne statt, sondern eher im Denken und in der verlotterten Wortwahl jener Hinterwäldler, für die die EU ein „Negerkonglomerat“ ist.

Eine „Clownerie“ nannte der französische Schriftsteller sein in Zeiten blutiger antikolonialer Kämpfe entstandenes Stück. Und der Außenseiter-Poet hat es nicht für die Schwarzen verfasst, sondern gegen die Weißen. Schwarze Schauspieler, so wollte es Genet, für den alle Unterdrückten „ Neger“ waren, stellen die Vergewaltigung und Tötung einer weißen Frau nach.

In Masken und Kostümen führen sie die gesellschaftlichen Machtmechanismen der Weißen vor, installieren einen Königs- und Gerichtshof und lassen – hier „die Neger“, da „der Hof“ – die Klischees von Weißen und Schwarzen aufeinanderprallen.

Impressionen des Stückes

Ein Skandal mutiert zur Langeweile

WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: "DIE NEGER"
Ein Skandal mutiert zur Langeweile

Die Neger…
Ein Skandal mutiert zur Langeweile

WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: "DIE NEGER"
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WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: "DIE NEGER"
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Die Neger…
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WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: "DIE NEGER"
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Die Neger…
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Ein Skandal mutiert zur Langeweile

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Ein Skandal mutiert zur Langeweile

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Ein Skandal mutiert zur Langeweile

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Ein Skandal mutiert zur Langeweile

WIENER FESTWOCHEN / FOTOPROBE: "DIE NEGER"

Ohne Spannung

Um „das verabscheuungswürdige Verhalten der Weißen zu zeigen und in Schande zu versinken“. Wobei die Farbigen in „Die Neger“ nicht sich selbst spielen, sondern die weiße Fantasie vom schwarzen Mann.

Eine Wand aus weißen Stoff- oder Papierbahnen (Bühne: Eva Veronica Born) trennt die Welt der Kolonialisten und die der „Neger“.

Davor löst sich die aufgebahrte Wachsleiche einer nackten Frau im Lauf der Vorstellung vor den Augen der Zuseher allmählich auf. Nur: Der Inszenierung von Johan Simons fehlen Tempo, Spannung und Action.

Die ursprünglich bösartige, drohende Energie ist verpufft. Wo Beschimpfungen und Erniedrigungen wie Faustschläge angelegt waren, garnieren sie eine Art ästhetisierendes Kammerspiel, das abwechselnd in buntes und grell-weißes Bühnenlicht (Wolfgang Göbbel) getaucht wird.

Die augenlosen schwarzen und weißen Vollmasken aus Pappmaschee, die alle Akteure außer dem doppelt besetzten Spielleiter Archibald Wellington (Felix Burleson und Stefan Hunstein) bis zuletzt tragen, sind eine Qual für die Schauspieler und auf die Dauer eine Zumutung für die Zuschauer.

Im optisch zur Anonymität verurteilten Ensemble hervorstechend: Benny Claessens als Village und Maria Schrader als Königin. Und Edmund Telgenkämper als Richter trägt sein Gesetzbuch auf dem Kopf.

Die fehlende Mimik soll der Sprache mehr Raum geben und offenbart umso deutlicher gestelzte Texte (Übersetzung: Peter Stein) zum komplizierten und oft verwirrenden Vexierspiel.

Wenn Vorurteile und Diskriminierungen hemmungslos zugespitzt werden. Wenn aber Wut, Hass und Ekel nur rezitiert statt – wie von Genet intendiert – ausgespuckt werden.

Schnarch und Lethargie wird kurz vor Ende lautstark von einer Explosion unterbrochen. „Von schwarzer Farbe zu sein, ist keine Sünde mehr“, lässt uns Genet wissen. Als hätten wir’s nicht schon gewusst. Aber haben es schon alle kapiert: „Woman is the nigger of the world.“

Maskerade mit N-Wort

Stück „Die Neger“ von Jean Genet, 1959 in Paris uraufgeführt, thematisiert die Hautfarbe als Stigma des Außenseiters und die Sprache als brutalen Antriebsmotor für Klischee und Unterdrückung.

Schauspieler Durch die Anonymisierung der mit Vollmasken ausgestatteten Darsteller wirken die teils wie in einem Scherenschnitt agierenden Figuren wie gesichtslose Puppen.

Eindruck Eine spannungsloser und wenig überzeugender Abend.

KURIER-Wertung:

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