Die kunterbunte mdw in Wien: die Singschule in der Tierklinik
Die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, kurz mdw, wird mitunter als die weltweit größte Einrichtung ihrer Art bezeichnet. Schließlich gibt es 3.100 Studierende und rund 1.400 Mitarbeiter, darunter 182 Professoren und 881 Lehrende. Das stimmt aber nicht ganz, sie ist nur eine der größten.
Und eine der buntesten. Denn zur mdw gehören auch die Filmakademie und das Max-Reinhard-Seminar. Von drei Hochschulen unter einem Dach – für Musik, Film und Schauspiel – will Rektorin Ulrike Sych aber nichts hören. Seit ihrem Amtsantritt 2015 arbeitet sie dran, dass die mdw als Einheit gesehen wird.
Im Leben der Ulrike Sych, 1962 geboren, hat sich das eine fast logisch aus dem anderen ergeben. „Mein Vater stammt aus einem Wirtshaus im Innviertel, meine Mutter aus Bischofshofen, dort war mein Opa Molkereidirektor. Aber ich bin eine echte Salzburgerin.“ Ihre Eltern hätten schon früh das musikalische Talent der Tochter erkannt: Sie lernte zuerst Klavier, später auch Geige, und in der Oberstufe bei den Ursulinen leitete sie einen Kinderchor.
Nach der Matura sei sie unentschlossen gewesen: Soll sie Klavier studieren? Oder Jus? Es wurde die Musikpädagogik am Mozarteum: „Weil ich gerne mit Menschen zusammen bin. Im Pflichtfach Gesang wurde ich einer Opernsängerin zugeteilt, die in mir die Sopranistin entdeckt hat.“ Nach dem Pädagogik-Studium und dem Probejahr ging sie nach New York und Italien, um sich weiter als Sängerin ausbilden zu lassen.
Die pädagogische Ader aber blieb. Mit der Absicht, Kinder spielerisch an zeitgenössische Musik heranzuführen, verfasste sie für Konzertabende märchenhafte Geschichten: In „Der Bärenführer Peter Rumpumpel“ baute sie Lieder von Ivan Eröd, Walter Gieseking und Max Reger ein, zu „Fridulinne und Cleofange“ schrieb Dietmar Schermann die Musik und die Kinder konnten aktiv mitmachen.
Schöne Klapperschlange
Wenn Sych von der ängstlichen Spinne Fridulinne und der schönen Klapperschlange zu erzählen beginnt, geht ihr das Herz auf. „Musische Bildung gibt den Kindern Tools in die Hand, die für ihr Erwachsenenleben von großer Bedeutung sind. Leider wurde Musik und Kunst in den Schulen sehr an den Rand gedrängt. Ich setze mich ein, dass sie wieder mehr Bedeutung gelangen.“ Sych kritisiert, dass man heutzutage Volkschullehrer werden kann, ohne ein Instrument erlernt zu haben: „Ich finde, dass in die Volksschulen Fachlehrende gehören – für Kunst und Musik. Damit nicht dilettiert wird. Denn die Schülerinnen von heute sind das Publikum von morgen.“
Sych redet immerzu mit Begeisterung. Da muss man sie mitunter höflich stoppen. Also: 1989 kam sie nach Wien. Denn auf der mdw, damals Hochschule genannt, war eine Stelle in der Abteilung für Komposition und Dirigieren frei. „Das war ideal: Ich konnte unter anderem Stimmkunde unterrichten – und andererseits als Sängerin arbeiten.“ Dirigentinnen gab es damals noch gar nicht: „Die Abteilung war eine Männerdomäne. Ich glaub‘, wir waren nur zwei Frauen. So wurde ich in den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen entsendet.“
Schon in der Volksschule hätte sie sich, sagt sie, für Antidiskriminierung eingesetzt: „Das hab‘ ich in mir.“ Von 2009 an war sie die Vorsitzende des Arbeitskreises: „So wurde ich mit der Universitätspolitik vertraut, denn ich war in allen Entscheidungen involviert. Und Werner Hasitschka, der damalige Rektor, wurde auf mich aufmerksam.“ Er bot ihr 2011 das Vizerektorat für Lehre und Frauenförderung an, ab 2013 war sie für die zentralen Ressourcen zuständig – und damit fürs Personal wie auch fürs Bauwesen. „Daher habe ich die Universität in sehr vielen Facetten kennengelernt.“ 2015 bewarb sie sich – auch auf Bitten aus dem Haus – um die Nachfolge von Hasitschka. Und wurde gewählt. Ihre zweite Amtsperiode geht bis 2023.
Gründung des Konservatoriums
Interessanterweise ist die mdw als Konservatorium für Musik aus privatem Engagement heraus entstanden: Die 1812 gegründete Gesellschaft der Musikfreunde rief 1817 eine Singschule ins Leben, zwei Jahre später begann der Instrumentalunterricht. Das war also noch lange vor dem Bau des 1870 eröffneten Musikvereinsgebäude. Ende des 19. Jahrhunderts wurden bereits mehr als 1.000 Studierende gezählt, 1909 kam es auf Entschließung des Kaisers zur Verstaatlichung. Die neue „k.k. Akademie für Musik und darstellende Kunst“ erhielt auch ein eigenes Haus in der Lothringerstraße – gleich neben dem Konzerthaus und mit einer prächtigen Probebühne, dem Akademietheater.
1928 wurde im Schönbrunner Schlosstheater eine von Max Reinhardt initiierte Schauspiel- und Regieschule als Abteilung der damaligen Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst eröffnet. Das Akademietheater hingegen nutzte man für Kooperationen mit dem Burgtheater. Doch die Zusammenarbeit gestaltete sich schwierig, die Burg hielt Vereinbarungen nicht ein und gerierte sich als Hausherr. Ab den späten 1950er-Jahren durfte die Hochschule nur mehr Gast sein, aber auch das funktionierte nicht. 1979 musste das Theater zur alleinigen Nutzung an die Bundestheater übertragen werden. Im Gegenzug wurde das Schlosstheater umgebaut, und das nahegelegene Palais Cumberland, seit 1940 Sitz des Reinhardt Seminars (das natürlich in der NS-Zeit nicht so heißen durfte), erhielt die Studiobühne Penzing.
Die mdw war in all den Jahren gewachsen. 1963 zum Beispiel wurde die Abteilung Film und Fernsehen gegründet, die sich seit 1998 Filmakademie nennt. So kamen immer mehr Standorte hinzu: „Wir waren über die ganze Stadt verstreut.“ 1996 übersiedelte die Veterinärmedizinische Universität aus Platznot nach Floridsdorf – und die mdw zog in deren ursprünglichen, 1821 bis 1823 errichteten Gebäudekomplex im dritten Bezirk ein.
„Wir sind hier sehr glücklich!“, schwärmt Sych. In den vergangenen Jahren wurden neue Baukörper errichtet, von den 25 Instituten sind nun etwas mehr als die Hälfte am Campus konzentriert, darunter das Institut für Kulturmanagement und Gender Studies, die Musiksoziologie und die Musikethnologie, das Institut für Popularmusik, die Bibliothek, die Konzertfächer Blasinstrumente, Schlagwerk, Streicher und Chor. „Es entwickelt sich hier eine neue Dynamik“, sagt Sych.
Und aus der Metternichgasse übersiedelte die Filmakademie in das nagelneue Future Art Lab. „Wir haben hier alle technischen Einrichtungen für Drehbuch, Regie, Kamera und Schnitt, ein Film- und ein Tonstudio, auch ein Dolby-Kino und so weiter. Unsere Universität zählt zu den weltweit besten Filmausbildungsstätten. Um diesen Status zu halten, brauchen wir nicht nur die besten Lehrenden, sondern auch die besten Geräte.“
Der Ausbau des Campus ist nun mehr oder weniger abgeschlossen, in naher Zukunft quartiert sich noch die Kammermusik in einem ausgebauten Dachstuhl ein. Mehrere Standorte wurden aufgegeben, aber es gibt noch immer zehn Adressen in Wien: den Rennweg mit der Musikpädagogik, die Metternichgasse mit der Musiktherapie, die Seilerstätte mit der Kirchenmusik und Orgelforschung, die Singerstraße mit dem Rhythmik-Institut, die Lothringerstraße mit dem Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung sowie dem Exilarte Zentrum für verfolgte Musik.
Ermordete Komponisten
Dieses ist Sych ganz besonders wichtig: „Wir sammeln die Nachlässe von Komponisten und Komponistinnen, die von den Nazis ermordet wurden, wir beforschen sie und versuchen sie zu publizieren. Und wir bemühen uns, dass die vielfach unbekannten Juwelen wieder in das Repertoire der Orchester und Kulturinstitutionen weltweit aufgenommen werden. Wir haben zudem eine Kooperation mit dem Parlament: Wenn es Veranstaltungen oder Gedenkfeiern mit Musik gibt, spielen unsere Studierenden diese Musik. Den ermordeten Komponisten wird also durch ihre musikalische Sprache die Stimme vor dem Parlament zurückgegeben. Und wir haben in der Belletage der Lothringerstraße auch eine öffentlich zugängliche Dauerausstellung über diese Komponisten und Komponistinnen.“
Ulrike Sych könnte zu jedem Institut minutenlang erzählen. In den Standort Metternichgasse ist jetzt, nach dem Umbau, unter anderem das Institut für Musiktherapie eingezogen: „Das ist auch eine tolle Sache! Da sind wir spezialisiert auf Kinder- und Jugendtraumata. Wir haben eine Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien. Kinder und Jugendliche werden am AKH diagnostiziert – und dann bei uns forschungsbegleitet therapiert.“
Und was will sie noch realisieren? „Ich kann mir zum Beispiel Filmschauspiel vorstellen, also eine stärkere Vernetzung zwischen Filmakademie und Max Reinhardt Seminar. Weil sich die Arbeitswelt der Schauspieler und Schauspielerinnen drastisch verändert hat.“
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