Die Konfetti-Phase der Moderne

Albertina
Nicht bloß eine weitere „Meisterwerke“-Schau: Die Albertina zeigt die „Wege des Pointillismus“.

Ohne bekannte Namen kommt eine große Ausstellung einfach nicht aus – und so bewirbt die Albertina den Höhepunkt ihrer Herbstsaison mit dem Dreigestirn „SeuratSignac – Van Gogh.“

Tatsächlich aber ist auch die Wiener Heimstatt des Kunst-Blockbusterwesens in neuen Zeiten angekommen: Der Leihverkehr mit epochalen Bildern ist teurer und schwieriger geworden, und Kunstgeschichte wird nicht mehr bloß als Abfolge von Meisterwerken erzählt. Die großen Namen sind letztlich nur Marksteine einer Entwicklung, in deren Lauf sich menschliche Sehgewohnheiten und das Verständnis dessen, was Bilder sind, verändert haben.

In diesem Sinn markiert der Pointillismus, der seine Geburtsstunde vor 130 Jahren in der achten Impressionisten-Ausstellung 1886 feierte, einen echten Umbruch. Die Maler Georges Seurat und Paul Signac zeigten damals zum ersten Mal ihre Bilder, die aus Anhäufungen von Punkten ungemischter Farben aufgebaut waren. Die impressionistische Idee, Licht und Atmosphäre auf die Leinwand zu bannen, wurde mit Blick auf damals neue Wahrnehmungs-Theorien verwissenschaftlicht und auf die Spitze getrieben.

Punkt-Landungen

Die Konfetti-Phase der Moderne
Albertina
Die vom Kurator Heinz Widauer in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Kröller-Müller-Museum realisierte Schau in der Albertina (bis 8.1.2017) hat sich zum Ziel gesetzt, die „Migration“ des Punkt-Stils nachzuzeichnen. Denn innerhalb weniger Jahre adaptierten zahlreiche Künstler die Technik für ihre Ziele: Während Signac, Seurat und weitere Mitstreiter mit Bildern von Hafen- und Küstenlandschaften bewusst die Gruppe der Impressionisten zu einem Wettstreit herausforderten, stellte der politisch aktive Franzose Maximilien Luce Szenen des industriellen Arbeitslebens dar. Theo van Rysselberghe und Achille Laugé malten Gesellschaftsporträts in flirrenden Farbwolken, Henri Edmond Cross tauchte in idealisierte Landschaften ab.

Sowohl die Methode der Bildschöpfung als auch die Motivwahl bargen das Versprechen einer Erneuerung in sich: Die Künstler sahen sich eben nicht bloß als reine Techniker, lehnten den aus dem Kunsthandwerk abgeleiteten Begriff „Pointillismus“ ab und sprachen lieber von „Divisionismus“ oder „Neo-Impressionismus“. Es galt, der Nachahmung des flüchtigen Eindrucks, der „Impression“, Dauerhaftigkeit und Tiefe zu verleihen.

Atomisierte Bilder

Die Konfetti-Phase der Moderne
Albertina
Zeitgenossen wie Paul Gauguin geißelten derlei Kunst als leblos, und noch heute erscheint das Unterfangen zwiespältig: In einem Gemälde wie jenem, das Paul Signac von seinem Großvater anfertigte (oben), scheint die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein, Formen und Figuren sind präsent wie Skulpturen. Zugleich blicken die Menschen ins Leere und sind wie Bauklötze arrangiert: Fast drängen sich Assoziationen zu den einsamen Subjekten in Werken eines Edward Hopper auf.

Dass die Pointillisten in vielerlei Hinsicht spätere Entwicklungen der Moderne vorwegnahmen, kann die Schau überzeugend argumentieren. Durch die methodische Auflösung trat das „Bild an sich“ in den Fokus, das künstlerische Tun begann sich selbst zu thematisieren: Heutige Künstler wie Sean Scully sehen Seurat gar als den ersten Konzeptkünstler, erklärt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder.

Die Schau beschränkt sich darauf, die unmittelbaren Nachfolger vorzuführen: Die Malerei von Henri Matisse wäre ohne die vorangegangene Atomisierung der Bilder ebenso wenig vorstellbar wie Van Goghs Strichführung. Auch Mondrian und Picasso nahmen den Ball auf. Die Bilder der letztgenannten „Stars“ sind jedoch nicht unbedingt die besten der Schau. Das Verständnis für den Umbruch in Sehen und Denken fügt sich hier eher aus vielen Teilen zusammen – viele Punkte ergeben ein Bild.

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