Die Helden des Abends: Die glorreichen sieben – Lipizzaner
Irgendwann, unvermittelt, stellt die von Martin Wuttke verkörperte Figur die Frage: „Wer hat eigentlich den Mythos in die Welt gesetzt, dass sich ein guter Theaterabend dadurch auszeichnet, dass er die Zuschauer noch Tage danach beschäftigt? Warum zeichnet er sich nicht dadurch aus, dass man ihn sofort vergessen hat?“
Ja, warum nicht? Dann wäre „Deponie Highfield“ von René Pollesch, am Freitagabend im Akademietheater (als Koproduktion mit den Festwochen} uraufgeführt, ein extrem guter Abend gewesen. Bereits Stunden später hat man völlig vergessen, worum es eigentlich gegangen war. Und man scheitert vollends, wollte man den Inhalt korrekt nacherzählen.
Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass man ungenügend vorbereitet war.
Das Programmblatt empfiehlt u.a. „Was würden Tiere sagen, würden wir die richtigen Fragen stellen?“ von Vinciane Despret und „Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“ von Donna Haraway sowie „Pornografie der Gegenwart“ von Alain Badiou und „Meine Lehre“ von Jacques Lacan als Lektüre.
Wer nicht wirklich sattelfest ist, kann sich also nur wundern, was die vier coolen Western-Ladies und ein O-beiniger Cowboy, der schneller raucht als sein Schatten, 100 Minuten lang verhandeln. Einer der prächtigsten Sätze, die Wuttke zu sprechen hat, lautet: „Die Abwesenheit des Darzustellenden ist ein Grundprinzip der Repräsentation, da die Repräsentation an dessen Stelle tritt und so dessen notwendiges Verschwinden erzwingt.“
Und nochmal ...
Da verliert man – auch auf der Bühne – gerne einmal den Faden. „Worum ging’s denn nochmal?“, fragt die von Kathrin Angerer verkörperte Figur. „Wie war das nochmal?“, fragt die von Birgit Minichmayr verkörperte Figur. „Also jetzt nochmal bitte!“, fordert die von Caroline Peters verkörperte Figur. Und Wuttke jammert zwischendurch, dass er den Text vergessen habe. Souffleuse Sybille Fuchs sagt ihm, aber auch den anderen, vom Rand aus ein. Alles nur gespielt. Denn es geht ja ums Vergessen. Bekanntes Pollesch-Theater, grundiert mit Reflexionen von Menschen, die sonst keine Sorgen haben. Manches ist witzig, einiges absurd, vieles banal.
Und doch wird man diesen Abend nicht so schnell vergessen können. Weil Katrin Brack ein grandioses Bühnenbild beigesteuert hat: Auf einem Kunstrasen stehen sieben lebensgroße Pferde, Lipizzaner gerufen, die mit den Ohren wackeln, mit dem Schweif wedeln – und Rauch aus den Nüstern blasen.
Auch den Nebendarstellern, darunter Irina Sulaver, schaut man begeistert zu: beim Galoppieren am Stand, beim Striegeln und Streicheln – und wie sie sich zu „24 Hours From Tulsa“ von Burt Bacharach wildeste Western-Schießereien liefern. Das Sprachspiel Lipica – Ibiza lag nahe. Dann ist Pollesch nichts mehr eingefallen. Also Ende.THOMAS TRENKLER
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