Die guten Seiten Österreichs: Das Musikland der vielen Chöre und der Blasmusik
3.900 Chöre, 115.000 Sängerinnen und Sänger, 2.200 Blasmusikkapellen, 106.840 Blasmusikerinnen und -musiker – in Österreich wird Musik gelebt (Von Susanne Zobl).
25.12.23, 06:00
Eine einfache Melodie begann vor mehr als 200 Jahren im Salzburger Oberndorf ihre Reise in die Welt. Die Rede ist von „Stille Nacht, heilige Nacht“, Franz Xaver Grubers Vertonung eines Gedichts des Pfarrers Joseph Mohr, die längst von Österreich aus zum weltweiten Sound zur Weihnachtszeit wurde.
Schon wenige Tage später erklingt eine weitere musikalische Besonderheit aus diesem Land in die Welt, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, das von hundert Fernsehstationen auf fünf Kontinente übertragen wird. Ist es Zufall, dass zwei zentrale musikalische Phänomene, eines aus der Volksmusik, das andere aus der Elite, aus Österreich in die Welt strahlen? Oder manifestiert sich darin eine Art symbolischer Charakter des „Musiklandes Österreich“?
Das Fundament der Elite
Diese Bezeichnung lässt sich schon allein mit Zahlen belegen: 3.900 Chöre, 115.000 Sängerinnen und Sänger, 2.200 Blasmusikkapellen, 106.840 Blasmusikerinnen und -musiker sind vom Bodensee bis zum Neusiedler See aktiv. Das heißt: In Österreich wird Musik in allen gesellschaftlichen Bereichen praktiziert, hier wird Musik gelebt – und ohne dieses Leben an der Basis gäbe es die Eliten nicht.
Das bestätigt der Tubist der Wiener Philharmoniker, Paul Halwax. Alle seiner philharmonischen Kollegen haben in Blasmusikkapellen begonnen. Auch er selbst. Als Zehnjähriger war er Teil der „Trachtenkapelle Hoadbauern Tadten“, mit 16 spielte er mit der Tanzkapelle „Hanság Buam“ auf, pendelte zur Musik-Uni in Wien und wurde 1997 ins Orchester der Wiener Staatsoper aufgenommen. Drei Jahre später war er Wiener Philharmoniker.
Doch nicht nur als Eliteschmiede seien die Kapellen eine nicht unterschätzende Basis für ein gut funktionierendes gemeinsames Leben im Dorf. „Man muss bedenken, in einer Kapelle müssen alle im Takt spielen. Du musst dich in eine Gesellschaft einordnen. Das Spielen im Orchester ist ein kompromissloses Miteinander", führt Halwax im Gespräch mit dem KURIER aus. Und er sagt:
Wenn wir zusammen musizieren, müssen wir aufeinander hören. Das sollte auch in einer Gesellschaft so sein.
Vor Kurzem hat er seine eigene Bläserformation The Philharmonic Brass aus den besten Musikern der Wiener, der Berliner Philharmoniker und aus anderen Spitzenorchestern gegründet. Jährlich werden Preise für die besten Nachwuchsmusiker ausgeschrieben, Veranstaltungen wie das Woodstock der Blasmusik“ (2024 vom 27.6. bis 30.4. im Innviertel) zeigen die tolle und heutige Vielfalt dieser Musik.
Ideal wäre, die Jüngsten möglichst früh mit Musik vertraut zu machen, weiß Halwax aus Erfahrung. Gemeinsame Besuche mit den Eltern würden unvergessliche Erlebnisse schaffen. „Kommunikation ist so wichtig, das ist der Grundbaustein für ein Musikverständnis“, erklärt Halwax. Es sei zielführender mit einem Kind darüber zu sprechen, warum etwa Mozart etwas so komponiert habe, oder wie ein Werk entstanden ist, als ihm zu erklären, wie viele Tonarten es gibt. „Es geht um die Essenz der Musik, und wenn wir im Orchester eine gewisse Spannung spüren, überträgt sich diese aufs Publikum und umgekehrt. So entstehen Sternstunden. Denn Musik ist etwas Spirituelles. Sie transferiert einen in andere Sphären“, weiß Halwax.
1,7 Chöre pro Gemeinde
Ähnliches gilt auch für das Singen im Chor, ist im Gespräch mit Gerhard Straßl, dem Präsidenten des österreichischen Chorverbands, zu erfahren. Dieser Verband ist einer größten in Europa.
„In Österreich haben wir um 60 Prozent mehr Chöre als Fußballvereine“, merkt Straßl an.
Umgerechnet könne man sagen, in jeder Gemeinde gäbe es 1,7 Chöre.
Auch Berufschöre wie der Arnold Schoenberg Chor und professionelle Chöre wie der Wiener Singverein oder die Wiener Singakademie sind dabei. Diese Damen und Herren singen aus Leidenschaft auf höchstem Niveau, und wenn ein Dirigent wie Riccardo Muti ein Chorwerk aufführt, dann verlange er meist einen dieser Chöre.
Die engagierten Formationen in den Gemeinden indes seien ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. Man hat erforscht, wie Erwachsene am schnellsten einander kennenlernen. Die Antwort ist eindeutig: durch Singen. Auch Fremdsprachen ließen sich am leichtesten mit Musik erlernen, weiß Straßl. „Kinder mit Sprachproblemen sollten einen Chor besuchen“, sagt Straßl. Zudem sei das Mitwirken im Chor auch ein sehr gutes Mittel zur Inklusion. So manches Unternehmen habe bereits erkannt, dass das Singen im Chor auch zu einem guten Betriebsklima etwas beitragen könne.
Lange Nacht
Damit auch jene, die nicht so oft in Konzerte gehen, etwas von der Faszination des Singens im Chor erfahren können, lädt der Verband am 8. Mai 2024 in den meisten Bundesländern zur „Langen Nacht der Chöre“. Ideal und notwendig wäre ein fundiertes Chorwesen in den Schulen, merkt Straßl an. Das Problem indes sei ein Mangel in der Ausbildung der jüngsten Generationen von Pädagoginnen und Pädagogen.
Ähnlich sieht Georg Zawichowski vom Verein Musikfabrik NÖ die Ausbildungssituation. Mit seiner Initiative „musik aktuell – neue musik in nö“ leistet er Vorbildliches. Denn die Musikfabrik NÖ fördert das Konzertwesen in allen Teilen Niederösterreichs.
Eine namhafte Künstlerpersönlichkeit wird alljährlich zur Programmgestaltung eingeladen. 2024 ist der Liedermacher und Dichter Ernst Molden „Artist in Residence“. Veranstalter im ganzen Bundesland werden bei ihren Veranstaltungen unterstützt. Seit 1997 wurden bereits 1700 Projekte landesweit durchgeführt. 2023 konnten um die 100 Veranstaltungen verbucht werden.
Überkommene Kategorisierungen in U-Musik und E-Musik, „klassische Moderne“ oder „Avantgarde“ sollen bei musik aktuell „kein Thema sein“, stellt Zawichsowski klar. Er lädt zu Jazz, Kammermusik, Performances, Zeitgenössischem, und bildet damit die musikalische Landschaft ab und bringt sie dorthin, wo man zunächst nicht damit rechnen würde.
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