Die Guten ins Töpfchen

Ausstellungen in Bern und Bonn versuchen eine erste "Bestandsaufnahme Gurlitt". Bisher stellten sich nur sechs Werke als NS-Raubkunst heraus.

Die Vorwürfe, seit Jahren immer wieder erhoben, prallen an den deutschen Behörden ab. Nun wies der Dokumentarfilmer und Sachbuchautor Maurice Philip Remy erneut darauf hin: Dass die Sammlung von Cornelius Gurlitt 2012 eigentlich "rechtswidrig" als NS-Raubkunst beschlagnahmt worden war. Und dass man dadurch den sonderbaren Kauz, der sich lediglich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hatte, mehr oder weniger "in den Tod getrieben" habe.

Bei der Präsentation seines Buches "Der Fall Gurlitt" erklärte Remy, dass von den insgesamt 1566 in Gurlitts Wohnungen in München und Salzburg beschlagnahmten Werken sich bisher nur sechs (!) als NS-Raubkunst herausstellten. Dennoch hätten die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und ihr Amtschef Günter Winands weiterhin einen falschen Eindruck erweckt. Sie hätten das Vorgehen der Behörden nachträglich rechtfertigen wollen.

"Entartete Kunst"

Die Sammlung war von Gurlitts Vater Hildebrand (1895–1956), einem Kollaborateur der Nationalsozialisten, zusammengetragen worden. Und er war in der Regel rechtmäßig in den Besitz der Bilder gekommen. Denn der Kunsthändler hatte den Auftrag erhalten, die aus den deutschen Museen verbannte "entartete Kunst" ins Ausland zu verkaufen – und er kaufte sie selbst.

Gurlitts Vater war aber auch Haupteinkäufer für das geplante Hitler-Museum in Linz und am NS-Kunstraub in Frankreich beteiligt. Die Aufregung war daher groß, als das Magazin Focus im November 2013 über die vertuschte Beschlagnahme des spektakulären "Schwabinger Kunstfunds" berichtete. In drei Fällen, darunter "Das Klavierspiel" von Carl Spitzweg, erhärtete sich schon recht bald der Raubkunst-Verdacht. Cornelius Gurlitt, schwer herzkrank, erklärte sich bereit, alle einst gestohlenen Werke zurückzugeben. Daher wurde die Beschlagnahme im April 2014 aufgehoben; wenig später, am 6. Mai, starb Gurlitt.

In seinem Testament vermachte er die Sammlung dem Kunstmuseum Bern. Es nahm das Erbe an – und verpflichtete sich, den Fall restlos aufzuklären. Viel weitergekommen sind die Provenienzforscher jedoch nicht: Die Meldung, dass ein sechstes geraubtes Kunstwerk entdeckt wurde, ist erst ein paar Tage alt. Es handelt sich dabei um ein mit dem Attribut "wertvoll" versehenes "Porträt einer sitzenden jungen Frau" des französischen Malers Thomas Couture.

Das Bild stammt, so Andrea Baresel-Brand, Leiterin des Gurlitt-Forschungsprojekts, mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Sammlung von Georges Mandel, einem ehemaligen französischen Minister, der sich während der deutschen Besatzung vehement gegen die NS-Machthaber aufgelehnt hatte. 1941 wurde er als Kriegstreiber zu lebenslanger Haft verurteilt, kam als "Ehrenhäftling" in deutsche Lager und wurde 1944 von französischen Milizen im Wald von Fontainebleau ermordet.

Dieses Porträt befindet sich nach wie vor in Deutschland. Denn nach Bern kommen laut Abmachung mit Deutschland nur jene Werke, die erwiesenermaßen bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit keine NS-Raubkunst sind. Also nach dem Aschenputtel-Prinzip: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Kunstraub mit Folgen

Einen Einblick in die "saubere" Sammlung mit rund 150 Exponaten gibt das Museum seit gestern unter dem Titel "Entartete Kunst – beschlagnahmt und verkauft". Die Liste der Werke umfasst 53 Seiten und enttäuscht in gewisser Weise. Denn der "Schatz" mit Kunst der klassischen Moderne ist doch weit weniger spektakulär: Er besteht hauptsächlich aus Radierungen, Lithografien und Holzschnitten etwa von Max Beckmann, Paul Gaugin, Ernst Ludwig Kirchner oder Lovis Corinth. Ein paar Zeichnungen sind darunter, etliche Aquarelle und Gouachen.

Am wertvollsten sind wohl zwei Ölgemälde: ein Selbstporträt von Otto Dix und ein Landschaftsbild mit dem Sainte-Victoire von Paul Cézanne (das laut jüngster Meldung nun vielleicht doch Raubkunst sein könnte).

Zeitgleich wurde auch eine Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle eröffnet – mit 250 Werken, deren Provenienz bedenklich ist oder sein könnte.

Unter dem Titel "Der NS-Kunstraub und die Folgen" spürt sie der Verbindung Hildebrand Gurlitts zum Kunstraub der Nationalsozialisten nach. Auch einige Bilder für das "Führermuseum" – etwa ein Rubens-Gemälde – ist ausgestellt. Der Rubens gehört zwar nicht zum "Schwabinger Fund", aber er steht beispielhaft für Gurlitts Wirken als Chefeinkäufer von Hitler, denn auch dieses Werk ging durch seine Hände. In einer Vitrine liegt eines der "Linzer Alben" für Hitlers Gemäldegalerie. In Band 30 sind zwölf Einlieferungen von Gurlitt verzeichnet.

Für Grütters sind beide Ausstellungen mit dem gemeinsamen Übertitel "Bestandsaufnahme Gurlitt" ein "wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft".

Doch erst gut 40 Prozent der Sammlung sind bisher auf ihre Provenienz untersucht worden. Und bei vielen Grafiken lässt sich nicht so einfach klären, wer der Vorbesitzer war. Mit der Doppelschau, die auch im Gropiusbau in Berlin gezeigt werden soll, verbindet man die Hoffnung auf Klärung weiterer Fälle. "Die Vorstellung, dass bestimmte Dinge sich nicht klären lassen, ist schwer auszuhalten", so Kuratorin Agnieszka Lulinska gegenüber der DPA. "Aber Fragen werden auch hier bleiben. Damit muss man sich abfinden."

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