Die Gesellschaft als Leinwand
In den frühen 1970er-Jahren verstörten die Werbespots von Humanic wie kaum etwas sonst. Denn die beauftragten Künstler waren in der Gestaltung völlig frei, sie mussten mit keinem Bild oder Satz auf die Produkte Bezug nehmen. Roland Goeschl etwa thematisierte die Umweltzerstörung – und ließ eine Mauer aus gelben, roten und blauen Quadern sprengen.
Verantwortlich für dieses radikale Konzept war Horst Gerhard Haberl. 1969 hatte der Mitarbeiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum zusammen mit dem Künstler Richard Kriesche und dem Werbegrafiker Karl Neubacher die Gruppe Pool gegründet. Sie wollten die Kunst aus dem Getto, den Museen und Galerien, in die Gesellschaft bringen. Und Pool sollte als Link zwischen Ware und Kunst fungieren. Die Ziele konnte Haberl schon bald umsetzen – eben als Werbechef von Humanic.
Kunst heißt eingreifen
So kam es, dass auch Kriesche mehrere 30-Sekunden-Spots gestalten durfte. Er mutierte zum Beispiel am Markusplatz von Venedig zur Plastik, die sich veränderte und schließlich auflöste. Denn Hunderte Tauben pickten von seinem weißen Anzug die aufgeklebten Körner. Zudem konfrontierte Kriesche die Fernsehzuschauer mit einer damals völlig unverständlichen Ideologie, unterlegt mit den Schwarz-Weiß-Bildern einer interaktiven Ausstellung in der Neuen Galerie: "Kunst heißt eingreifen. Eingreifen heißt ordnen."
Zunächst hatte sich Kriesche, 1940 in Wien geboren, mit konkreter Kunst beschäftigt: Ab 1964 malte er abstrakte Gemälde nach exakten Größen- und Zahlenverhältnissen. Doch schon bald schwor er dem Tafelbild ab. Denn 1970 sah er in London zum ersten Mal eine Videomaschine – und er war sogleich von den Möglichkeiten fasziniert. Kriesche wurde zum Konzept- und vor allem zum Medienkünstler: "Die Gesellschaft ist meine Leinwand. Dort arbeite ich."
1973 setzte sich die "trigon"-Biennale im Rahmen des "steirischen herbstes", damals das Avantgardefestival schlechthin, unter dem Titel "Audiovisuelle Botschaften" mit den bahnbrechenden Möglichkeiten der neuen Medien auseinander. Graz war am Puls der Zeit, Richard Kriesche einer der Teilnehmer. Mit befreundeten Künstlern betrieb er in der Folge das AVZ, das Audiovisuelle Zentrum: Dieses Labor bereitete das Feld für die Ars Electronica in Linz auf.
Das weiße Quadrat
Unter den vielen Arbeiten, die damals entstanden, sticht eine besonders hervor: Für die ORF-Reihe "Impulse" ging er der Frage nach, was Kunst ist – und er lieferte zugleich die Antwort: indem er in den öffentlichen Raum (rund um den Steffl) eingriff. Er ließ zum Beispiel Flugzettel verteilen und trug ein quadratisches Bild herum, auf dem nur "IST DAS KUNST" stand.
Kriesche zitierte damit das "Schwarze Quadrat auf weißem Grund" (1915) von Kasimir Malewitsch. 1989 tauchte das weiße Quadrat wieder auf: Kriesche legte in Gröbming eine 20 mal 20 Meter große Plane auf, rund um die Fläche feierte die Bevölkerung ein Fest: "Die Menschen bildeten den Bilderrahmen für dieses Pixel", so Kriesche. Der Satellit scannte die Szenerie – und auf der Aufnahme war genau dieses Pixel als Eingriff zu erkennen. Danach wurde die Plane, deren Rückseite mit Tarnmustern bemalt war, gewendet: "Wir verschwanden in der Welt."
Sichtbare Gedanken
Der Computer und die digitalen Medien blieben Kriesches wichtigste Werkzeuge bis heute. Er trug zum Beispiel in einer Performance ein Band Leuchtdioden vor dem Gesicht. Alles, was er mit den Fingern in die Tastatur eingab (zum Beispiel das Wort "Künstler"), erschien auf seiner Stirn: Der Gedanke wurde sichtbar.
Oder: Kriesche ließ zwei Roboter so programmieren, dass sie sich gegenseitig ein- und ausschalteten, die Trennung zwischen Arbeit und Unterhaltung aufhoben.
Oder: Er kommunizierte 1991 in einer ORF-Live-Übertragung mit Austromir-Kosmonaut Franz Viehböck während der Erdumrundung und ließ die Datenflüsse zu einer Skulptur brennen, die seither auf dem Grazer Schlossberg steht.
Oder: Mithilfe "telematischer Medien" überwand Kriesche, der vielfach mit Peter Gerwin Hoffmann zusammenarbeitete, im Projekt "Entgrenzte Grenzen" bereits 1987 ideologische und geografische Barrieren.
In weiterer Folge entstand eine interaktive Arbeit für die Biennale Venedig 1995: Auf einem Förderband lag eine Eisenbahnschiene, die sich ganz langsam auf eine Mauer zubewegte. Wer sich auf einer bestimmten Homepage einloggte, konnte das Förderband kurz zum Stillstand bringen. Leider beteiligten sich zu wenige Menschen, aber die "Telematische Skulptur Nr. 4" war die allererste Internet-Arbeit, die in den Giardini zu sehen war, und Kriesche der allererste Österreicher, der von der Jury mit einer lobenden Erwähnung bedacht wurde.
Das Förderband stammte vom Unternehmen Knapp, einem Spezialisten für Logistik und Automation. Auf deren Produkte griff Kriesche immer wieder zurück, etwa 2008 für die raumfüllende Installation "Capital + Code" im Grazer Kunsthaus oder 2010 für "Blood and Tears" bei der Ars Electronica.
2013 erwarb das Land Steiermark für die Neue Galerie 60 Arbeiten von Kriesche samt Skizzen. Sie bilden die Basis für die bis 2. Oktober laufende Retrospektive "medienblock-richard-kriesche".
Elektronische Post
Mitunter bricht Kurator Günther Holler-Schuster die Chronologie auf, um Themen zu "Blöcken" zusammenzufassen. Auch ein paar "Relikte" sind zu sehen, darunter Schautafeln mit Fotos von Performances und das Klavier mit der halben Tastatur (1986): Zwei räumlich voneinander getrennte Pianisten spielen in der Videoinstallation "Stille elektronische Post" gemeinsam ein Werk.
Und so, wie all die Videos ununterbrochen über die antiquierten Monitore flimmern, ist auch die Ausstellung eine Art Loop. Denn die Ölbilder der Serie "Numerische Systeme" aus den frühen 60er-Jahren fügen sich nahtlos zu den digitalen Porträts "datenwerk : mensch" aus 2006. Für die dicht gehängte Schau sollte man sich viel Zeit nehmen; jede Menge Aha-Erlebnisse sind aber garantiert.
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