Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Zahllose Künstler ließen sich davon inspirieren: Joos van Craesbeeck, Versuchung des heiligen Antonius, um 1650, Öl auf Leinwand
Die Ausstellung „Die Lust am Schrecken“ zeigt historische Kunst, die auf die Magengrube abzielt.

Die anschauliche Darstellung von Enthauptungen ist heute ja wieder Mainstream-tauglich. Zwar nicht in der Form grauslicher Dschihadisten-Videos, wohl aber in historisierenden TV-Serien wie „Game of Thrones“: Hier dürfen Köpfe zur Steigerung des visuell-emotionalen „Kicks“ rollen, die Seherschaft weiß die Mischung aus Entsetzen und wohligem Schauer durchaus zu goutieren.

Eben diese „Lust am Schrecken“ ist nun auch Thema einer Ausstellung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ohne an zeitgenössische Formen direkt anzuknüpfen, sind dort Beispiele expliziter Gewalt- und Schreckensdarstellungen aus der Kunstgeschichte versammelt, die allesamt eines wollen: ein Maximum an emotionalem Aufruhr erzielen.

Kick und Erbauung

Das Thema und die Wirkkraft der Bilder ist dazu angetan, der Gemäldegalerie, die wegen ihrer versteckten Lage im ersten Stock des Akademiegebäudes bis heute eher Geheimtipp-Status besitzt, ein dickes Besucherplus zu bescheren. Dabei greift die Schau im Kern auf die eigenen, hervorragenden Altmeister-Bestände zurück und bleibt auch sonst einem kunsthistorischen Lehr-Auftrag treu. Denn ebenso, wie man bis ins 19. Jahrhundert hinein Nacktheit nie „einfach so“ darstellte, wurde auch Gewalt und Schrecken nie „einfach so“ im Bild gebannt: Die Traditionen und Theorien hinter den Darstellungen bilden den Leitfaden der Ausstellung.

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte
Artemisia Gentileschi: Judith tötet Holofernes, 1612
Ein Höchstmaß von emotionaler Bewegtheit, verbunden mit dem Gefühl, dass man vom Schrecken nicht selbst betroffen ist, galt seit der Antike als ideale Voraussetzung, ein Publikum für moralische Botschaften zu „öffnen“. Zur Zeit der Gegenreformation kam man gern darauf zurück, und so datieren viele Magengruben-Bilder der Schau aus jener Zeit: Von Artemisia Gentileschi sind zwei Umsetzungen alttestamentarischer Stoffe zu sehen, darunter das berühmte „Judith tötet Holofernes“ aus Neapel (1612) und das seltene Motiv „Jael und Sisera“ (1620).

An der gegenüberliegenden Wand hängen Bilder mythologischer Figuren, die allesamt grässlich bestraft wurden: Prometheus (mit Geier, der seine Leber frisst), Ixion (auf dem Weg in die Unterwelt), Tantalos und Sisiphos.

Brav sein!

Schön brav sein, lautet die implizite Botschaft dieser Bilder. Die an schrecklichen Motiven auch nicht arme Tradition der Kreuzigungs- und Heiligenbilder spart die Schau weitgehend aus; dafür widmet man sich dem „Erhabenen“, also jener Empfindung, der einen etwa angesichts übermächtiger Naturphänomene überkommt. Insbesondere der Ausbruch des Vesuv 1771 zog eine Reihe von Bildern nach sich, die ihren Weg in Akademie-Bestände fanden.

Zu guter Letzt darf auch das Herzstück der Galerie, Hieronymus Boschs „Weltgerichtstriptychon“, flankiert von verwandten Bildern in all seiner Durchgeknalltheit strahlen. Das Werk allein ist Grund genug,die Akademiegalerie auch abseits von Sonderausstellungen immer wieder zu besuchen.

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

Die Geisterbahn der Kunstgeschichte

A woman looks at Bosch's painting "Tryptich of the

Info & Programm

Die Ausstellung „Die Lust am Schrecken – Ausdrucksformen des Grauens“ ist bis 15. März 2015 zu sehen. Es ist die erste Großausstellung, seit die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste 2010 nach einer umfassenden Renovierung neu eröffnet wurde.
Neben den eigenen Beständen holte man Leihgaben u. a. aus Budapest und dem Museum di Capodimonte in Neapel, aber auch aus bedeutenden Wiener Häusern wie dem Kunsthistorischen Museum oder der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein. Ein Katalog zur Schau ist im Verlag „Bibliothek der Provinz“ erschienen und kostet 29 Euro.

Die Gemäldegalerie liegt im ersten Stock der Akademie der bildenden Künste in Wien (Schillerplatz 3, 1010 Wien; geöffnet Di.–So. und an Feiertagen von 10–18 Uhr; Tickets 8 €, ermäßigt 5 €, Eintritt bis 19 Jahre frei). Führungen werden samstags um 15.30 Uhr, sonntags um 10.30 Uhr angeboten.
Im angrenzenden Schauraum „xhibit“ ist noch bis 11. Jänner 2015 die Schau „Parallelspuren / Párhuzamos nyomok“ zu sehen, für die Studierende aus Wien und Budapest Charakteristika der Städte und ihrer Geschichte künstlerisch verarbeiteten.

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