Die Geburt des Mephistopheles

Werner Schwabs „Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm“: Die Studierstube ist ein "Scheißhaus" ...
Das Schauspielhaus Graz eröffnete die Saison mit Stücken von Werner Schwab und Clemens J. Setz.

"Richtige Grazkunst" sei "keine Mausescheiße, die von einem Hund gefressen" wird: Das behauptete der Künstler Herrmann Wurm zum ersten Mal 1991 – in der Uraufführung der Komödie "Volksvernichtung". Und Iris Laufenberg, Intendantin des Grazer Schauspielhauses, sieht es ähnlich: Sie ließ die Saison mit zwei österreichischen Erstaufführungen Grazer Autoren eröffnen.

Wobei sie ein ziemliches Wagnis einging. Zwar nicht mit dem viel gelobten Stück "Vereinte Nationen" von Clemens J. Setz, das ab 13. Oktober auch in Wien zu sehen sein wird. Aber im großen Haus mit Werner Schwabs Umdichtung "Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm".

Nach dem kometenhaften Aufstieg, ausgelöst durch die "Volksvernichtung", hatte der Dramatiker, 1958 geboren, richtig Stress. Auf die "Fäkaliendramen" folgten "Königsdramen", 1992 dürften etwa sechs Stücke entstanden sein, darunter die "Coverdramen". Der Grazer nahm etwa "Troilus und Cressida" von Shakespeare als Vorlage. Anders als beim "Reigen" von Arthur Schnitzer, dessen Stafettenlauf-Konzept er in die Gegenwart übertrug, entfernte er sich mit seinem "Faust" aber radikal von Goethes erstem Teil der Tragödie. Er spielt auch nicht mit den berühmten Zitaten. Von Fausts erstem Monolog sind gerade einmal zwei Wörter übrig geblieben: "ach" und "Philosophie".

Trotzdem ist Schwabs "Faust" ein Ungetüm – an verworrener Sprache mit Neologismen (darunter "jetztparalytische Aufdröselungszeit") sonder Zahl. Seit der Uraufführung posthum im Oktober 1994 – Schwab war am Neujahrstag gestorben – und einer Folgeinszenierung tat sich niemand mehr diesen "Wahnsinn" an. Regisseurin Claudia Bauer aber erarbeitete sich mit ihrem Team den Text mit äußerster Präzision: Sie lässt ihn zum Teil im Chor und rhythmisiert (zum peitschenden Metronom), immer aber vom Sinn her verständlich "ersprechen".

Raffiniert geht Bauer zudem mit den fantasievollen Regieanweisungen um: Sie werden von Rosemarie Brenner, der Souffleuse, auf der Bühne vorgelesen. Ensemble und Technik folgen mitunter den erfüllbaren Wünschen, mitunter setzen sie sich mit viel Witz über diese hinweg.

Clowneske Figuren

Vorspiel und Prolog haben Schwab nicht interessiert: Gleich von Anfang an plagen Faust Selbstmordgedanken.

Sein Studierzimmer ist aber ein gekacheltes "Scheißhaus", das die Schauspieler zu Beginn wie den Marketenderwagen der Mutter Courage in die angedeutete Zirkusmanege von Patricia Talacko ziehen. Videoprojektionen zeigen Faustens Hadern im Inneren – und gebannt verfolgen die clownesken Figuren (Kostüme: Dirk Thiele) popcornfutternd, ob sich der Held das Leben nehmen wird.

In der Not gebiert Faust, von Florian Köhler mit viel Weltverdruss verkörpert, den Mephisto. Das grazile Teufelchen im Grace-Jones-Kapuzenoutfit (Benedikt Greiner) führt seinen Herrn in eine Disco, also Auerbachs Keller, und macht ihm Lust auf einen "Arsch". Valentin (Raphael Muff) ist hier nicht der Bruder des Gretchens (Henriette Blumenau), sondern der Nebenbuhler, den Faust kurzerhand in einer wunderbaren Slapstickeinlage zum Jammerlappen degradiert.

Und in der Walburgisnacht wird es bei der schrillen Marthe Schwerdtlein (Julia Gräfner) exzessiv: Wagner (Fredrik Jan Hofmann) hat nun tatsächlich ein "Arschgesicht", bevölkert wird die Szenerie von Werner-Schwab-Zombies. Zuvor schon hatte Fausts Mantel gebrannt – wie im berühmten Schwab-Porträt des Fotografen Joseph Gallus Rittenberg.

Margarethe ritzt Faust ein Kreuz in die Brust. Das war’s auch schon mit der Religion. Die Sache endet schließlich blutrünstig letal. Aber nicht wirklich, denn die Figuren entpuppen sich als Erfindung des "alten Faust" ...

Peinigende Situationen

Weit weniger glückte das Kammerspiel von Setz im sogenannten "Haus zwei". Dies lag weniger an Problemen mit der Videotechnik, als an fehlender Natürlichkeit. Anton und Karin scheffeln Geld damit, dass sie Videos ihrer siebenjährigen Tochter verkaufen, die sie in peinigende Situationen gebracht haben. Den Vater quälen zeitweise Gewissensbisse: Mathias Lodd panikt glaubwürdig aus. Aber Evamaria Salcher spielt viel zu aufgesetzt die Coolness der brutalen Mutter. Franz Solar ist als mephistophelischer Produzent, der nach härteren Bildern giert, leider bloß ein armselig tätowiertes Abziehbild.

Quasi zum Drüberstreuen gab es am Eröffnungswochenende noch "Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen" von Nassim Soleimanpour. Das Stück lebt davon, dass der Schauspieler vorher nicht weiß, was er zu tun hat. Daher sollte man auch nichts vom Inhalt erzählen (es geht sehr unterhaltsam um Kommunikation, Vorurteile und Unterdrückung). Maria Bill meisterte die Prüfung mit Bravour.

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