Die fragile Schönheit des Gefühls, tief durchzuatmen

Die fragile Schönheit des Gefühls, tief durchzuatmen
Die Bildhauerin Nairy Baghramian, international gerade im Aufwind, stellt in der Wiener Secession aus

Luft in Skulptur zu verwandeln, ist keine ganz einfache Aufgabe. Da Glasbläserei aber seit langer Zeit genau dies tut, scheint es auch für eine zeitgenössische Künstlerin naheliegend, sich am Material Glas zu versuchen.

Die Objekte, die Nairy Baghramian nun im Hauptraum der Secession präsentiert, sind das Resultat dieser Auseinandersetzung: Wie ein fragmentiertes Röhrensystem wirkt die Installation, dessen Elemente bei näherer Betrachtung großen Facettenreichtum preisgeben. Jedes Glas erscheint in seiner Tönung anders, Farbpigmente sind darin eingelagert, Unreinheiten, Luftbläschen. Es scheint oft nicht klar, ob wir es mit einem archäologischen Fund oder einer frisch aus dem Schmelzofen gezogenen Werkgruppe zu tun haben.

Fliegende Skulptur

Die im Iran geborene, in Berlin lebende Künstlerin gehört zu jenen, die Skulptur nicht als feste Form verstehen, sondern sich in den Grenzbereichen des Genres und seiner Materialien aufhalten – in Nachfolge von post-minimalistischen Zugängen von Personen wie Lynda Benglis oder Eva Hesse, die schon früh mit Schaum, Gummi oder Fiberglas experimentierten. Baghramian konnte damit einiges an Renommee einsammeln, sie gewann etwa den „Nasher Sculpture Prize“ für 2022.

Die Künstlerin sagt, sie wolle mit ihren Objekten „den Raum besetzen, ihm aber auch etwas zurückgeben“. Den luftigen Saal der Secession, als Keimzelle des modernen Kunstverständnisses viel gepriesen, vergleicht sie dabei mit einer Lunge.

Die fragile Schönheit des Gefühls, tief durchzuatmen

Luft anhalten!

Auch wenn die Arbeit nicht mit der Pandemie in Verbindung steht – einige Glasobjekte wurden schon 2018 gezeigt – fällt es schwer, keine aktuellen Querverbindungen zu ziehen. Die Assoziation mit einer Luftröhre ist schließlich da, die Objekte selbst scheinen in einem Schwebezustand aus Materialschönheit und Zerbrechlichkeit aufgehoben. Dass sie nicht hübsch inszeniert, sondern von grob gekleisterten Halterungen eingefasst sind, verstärkt ihre Ambivalenz noch: Es könnten Prothesen sein, notdürftig verarztete Atmungsorgane, eingefrorene Versuche, das Lebensnotwendige am Laufen zu halten.

Der Ausstellungstitel „Breath Holding Spell“, für den das deutsche Wörterbuch nur die wenig poetische Übersetzung „respiratorischer Affektkrampf“ kennt, bezeichnet eine Situation, in der Kinder – oft aus Wut oder Aufregung – die Luft anhalten. Mit welcher Intention Baghramian Luft als Skulptur festhält, bleibt ungesagt: Die Sprache des Materials ist uneindeutig und leise. Dramatik erzeugt sie dennoch, wenn auch vielleicht erst im Nachhall, nachdem man draußen mehrmals tief durchgeatmet hat.

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