Von einem Negativ – seinerzeit eine zerbrechliche Glasplatte – wird ein Positiv gemacht. Eine Kopie. Fertig ist das Foto. Das wird durch vielfache Reproduktion zur Massenware, in unterschiedlichsten Zusammenhängen gedruckt, international vertrieben und von Liebhabern gesammelt. So war’s zur Zeit der Urgroßväter der heutigen Handy-Spontanknipser-Generation.
Es gab eine veritable Krise bei den professionellen Fotografen ab den 1870er-Jahren, in der viele Ateliers schließen mussten, weil sie von beauftragten Porträts kaum leben konnten.
Der Ausweg bestand darin, Bildmaterial nicht mehr nur für einen privaten Auftraggeber, sondern für einen offenen Markt herzustellen. Diese Fotos fanden Eingang in Medien wie Mappenwerke, Zeitschriften, Postkarten und Bücher. Und es entstand ein umkämpfter Markt an Sammelbildern, die über Verlage in den Handel kamen.
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Davon erzählt die in Kooperation mit dem Photoinstitut Bonartes gestaltete Sommerausstellung im Grafischen Kabinett des Leopold Museums: „Geschäfte mit Kopien“ (bis 28. 8.). Mit rund 320 Exponaten ist sie in drei Kapitel eingeteilt: „Fotografien“, „Redaktionelle Bearbeitung“ und „Fotografisches Reproduzieren“.
Im Mittelpunkt steht der fotografische Kunstverlag von Otto Schmidt (1849– 1920). Er war der Sohn des Hoffotografen von Gotha und hatte in der Reichshaupt- und Residenzstadt seinen ersten großen Erfolg mit einer „Wiener Typen“- Bilderserie.
Es war die erste ihrer Art, die das bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende und laufend erweiterte Figuren-Repertoire der Wiener „Volkstypen“ von der Druckgrafik ins Medium der Fotografie übersetzte. Wobei sich bei genauerem Hinsehen gezeigt hat, dass die vorgeblichen „Wiener Originale“ zum Teil von Schauspielern dargestellt und – ausgestattet mit Kostümen aus dem Fundus – vor wechselndem Atelierhintergrund fotografiert wurden.
Und die am Beginn der Schau gezeigte „Öbstlerin vom Naschmarkt“ (1885) erschien am 12. September 1886 – nunmehr nicht als Foto, sondern als Zeichnung nach dem genau gleichen Motiv – auf dem Titelblatt der Zeitung Wiener Spezialitäten, jetzt allerdings als die Frau „Xandl vom Standl“.
Schmidt betrieb ab 1890 zusätzlich ein „Heliographische Kunstanstalt“. Die Heliogravüre, ein Vorläufer des modernen Tiefdrucks, „ist eine sehr vornehme Drucktechnik“, sagt Kurator Michael Ponstingl. „Schmidt tritt uns in verschiedenen Rollen entgegen: als Fotograf, als Verleger und als Druckformenhersteller.“ Bei großen Fotokampagnen auf Reisen durch mehrere österreichische Kronländer entstanden rund 4.000 Landschafts-, Architektur- und Handstudien sowie Aufnahmen von kunstgewerblichen Objekten.
Sie waren Anschauungsmaterial für Künstler im Historismus. Sie vermittelten Wissen um Gotik, Renaissance, Barock oder Rokoko. Und Architekten und Kunstgewerbetreibende griffen auf solche Bilder gern zurück.
Und mit einer etwa 6.500 Sujets umfassenden Aktfotoproduktion war Schmidt in dieser Hinsicht der größte Produzent in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Ein einträgliches Geschäft. Denn die seriös „Akademien“ genannten und eigentlich für Künstler gedachten Aufnahmen hatten – „unter dem Ladentisch“ verkauft – auch Bildbedürfnisse von Erotik- und Pornokonsumenten zu befriedigen. Der Voyeur blickte quasi durchs Schlüsselloch auf schöne, fremde und „wirklich“ nackte Frauenkörper. Das war der Reiz dieser frühen fotografischen Körperbilder.
Die Schau "Geschäfte mit Kopien. Der Fotografische Kunstverlag Otto Schmidt" ist bis 28. 8. Leopold Museum, Wien, zu sehen. Das Buch zur Ausstellung. Michael Ponstingl: „Geschäfte mit Kopien. Der Fotografische Kunstverlag Otto Schmidt“ ist bei Fotohof edition erschienen (35 Euro).
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