Was ist ein Mensch?
Olga Ravns Roman landete 2018 auf der Shortlist des Booker Prizes, sie selbst beschreibt ihn als eine Erzählung über „Arbeitsplatz, Gleichheit und Klimakrise und wie alle drei miteinander zusammenhängen“. Nun kommt er in der Regie von Alexander Giesche auf die Bühne des Volkstheaters. Zuvor wurde er schon in Norwegen und Polen dramatisiert.
Das Buch reiht Zeugenaussagen der Besatzung aneinander. Es ist nicht leicht zu erkennen, ob ein Mensch oder ein Nicht-Mensch spricht. „Das ist definitiv meine Absicht“, erzählt Olga Ravn. „Einmal während des Schreibens hat mein Lektor zu mir gesagt: ,Wie wär’s, wenn die Humanoiden gegen Ende furchteinflößend werden und die Menschen töten?’ Da wusste ich, ich bin noch lang nicht bei dem, was ich erreichen will. Dass der Leser mit den Nicht-Menschen mitfühlt, dass man sich dabei erwischt, Sympathie mit ihnen zu haben – ohne dass man es wirklich weiß.“
Sehnsucht nach Wasser
Die Thematik der Gleichheit ist also recht prominent in „Die Angestellten“, subtiler ist Ravn, wenn es um den Umgang mit unserem eigenen Planeten geht. Bei ihrer Recherche für das Buch hat sie auch viele Interviews mit Astronauten gelesen. Jener, der am längsten im All war, vermisste am meisten nicht etwa seine Familie, sondern: „Von Wasser umgeben zu sein“. „Das mag auch daran liegen, dass es auf Raumstationen nur sehr enge Duschen gibt. Aber ich verstand ihn auch so, dass er die Atmosphäre der Erde vermisst hat – die besteht ja aus lauter Tröpfchen. Sein eigenes Ökosystem ging ihm ab. So etwas wollte ich zeigen: Wie es ist, wenn man aus seinem Ökosystem entfernt wird. Die Menschen auf dem Schiff vermissen ja auch das Wetter, sie vermissen Steine, sie vermissen Bakterien. Wir sind für die Erde geschaffen. Wenn wieder ein Milliardär sagt, er möchte den Mars kolonisieren, dann geht das gar nicht. Wir müssten immer wieder zurück, um uns unsere Bakterien zu holen.“
Dieses Verlangen des Menschen nach der Erde – auch im wahrsten Sinn des Wortes – ist eine eher intuitive Aussage ihres Romans. Ihre Mutter hat sie verstanden: „Ich sandte ihr das Buch, als es fertig war. Als gute Mutter fand sie es natürlich gut. Und dann sagte sie noch: ,Und bitte vergiss nicht, ich möchte mal begraben werden, nicht verbrannt.’ Das war meine beste Rezension!“
Freier Wille
Die Science Fiction, die Ravn in dem Roman erzählt, fühlt sich nicht übertrieben „zukünftig“ an. „Ich denke, jede gute Science Fiction handelt von der Zeit, in der sie geschrieben wird“. In Ravns Roman sind es kurioserweise die Humanoiden, die besser mit den Veränderungen klarkommen. „Die Menschen sind zu gelähmt von ihren Erinnerungen, für sie gibt es keine Zukunft. Für die Humanoiden aber bedeutet die Erkenntnis, dass sie auch einen freien Willen haben, überhaupt erst, dass sie sich eine Zukunft vorstellen können.“
Ob Frankenstein oder KI-Code
Was könnte das für unsere tatsächliche Zukunft bedeuten? Wird die Künstliche Intelligenz die Macht übernehmen? „Meistens werden solche Mythen aus männlicher Sicht geschildert. Ödipus, Frankenstein: Wenn du einen Sohn hast, wenn du eine Kreatur erschaffst, wird es immer so sein, dass er oder sie dich umbringen wird, um deine Macht zu erhalten. Aber sehen wir es aus der Perspektive einer Mutter: Wann immer wir ein Kind bekommen oder ein Monster kreieren – oder einen Code –, dann werden sie von unserem Verhalten lernen. Unseren Rassismus übernehmen, Gewalt, Klassismus. Aber sie werden auch lernen, so wie wir mal albern zu sein, von Träumen beseelt zu sein, zu lieben und kreativ zu sein. Also: Wenn es wie ein Mensch aussieht, wie ein Mensch denkt, wie ein Mensch träumt, wie ein Mensch fühlt, dann ist es ein Mensch.“
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