"Die ,Dreigroschenoper‘ ist eine windschiefe Hütte"

Mackie Messer –- Eine Salzburger Dreigroschenoper
Sven-Eric Bechtolf, Intendant der Salzburger Festspiele, über die Neufassung der "Dreigroschenoper" von Bert Brecht und Kurt Weill.

Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht und Kurt Weill, am 31. August 1928 in Berlin uraufgeführt, schrieb Theatergeschichte: Bettler, Huren, Mörder und Diebe verhielten sich wie die kapitalistische Bourgeoisie. Hinzu kamen Songs mit hohem Wiedererkennungswert, darunter "Die Moritat von Mackie Messer", ein Bänkellied: "Und der Haifisch, der hat Zähne / Und die trägt er im Gesicht ..."

Neufassungen oder Abänderungen sehen die Erben normalerweise nicht so gern. Den Salzburger Festspielen gelang aber ein Bravourstück: Die Weill-Foundation stimmte einer einmaligen "Experimentalfassung" in der musikalischen Adaption von Martin Lowe zu. Sie feiert am Dienstag in der Felsenreitschule ihre Premiere. Inszeniert wird das Spektakel mit Michael Rotschopf und Sona MacDonald von Julian Crouch, dem Regisseur der aktuellen "Jedermann"-Produktion, zusammen mit Sven-Eric Bechtolf, dem Intendanten der Salzburger Festspiele.

KURIER: Da Sie als Intendant von Anfang an in das Projekt "Mackie Messer" eingebunden waren, führen Sie nun auch Regie – zusammen mit Julian Crouch. Bedenken, dass mehrere Köche den Brei verderben können, hatten Sie nicht?Sven-Eric-Bechtolf: Ich hatte zunächst Zweifel, wie das gehen soll, da ich ein eher eigenbrötlerischer Mensch bin. Ich habe noch nie gemeinsam Regie geführt. Aber ich war dann erstaunt, wie schnell wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben. Die Zusammenarbeit war richtig befreiend. Denn der eine schlägt etwas vor und denkt sich, dass der andere schon sagen wird, wenn er den Einfall blöd findet.

Was ist die "Dreigroschenoper"? Ein Lehrstück – oder doch eher eine Revue?

Eine windschiefe Hütte. Es heißt immer, die "Dreigroschenoper" sei politisches Theater. Naja, wenn man den Text genau liest, merkt man nicht viel davon. Brecht ist noch weit davon entfernt, eine politisch klare Aussage zu haben: Er erstellt grauenhafte Befunde über den Zustand der Welt, er macht sich über die Bildungshuberei von Emporkömmlingen lustig, dann wechselt er die Perspektive und erzählt in einem schmissigen Lied etwas über arme Leute. Er ist einerseits zynisch, andererseits hat er einen Hang zur Genremalerei: Er schildert das Rotlichtmilieu sehr romantisch. Ja, dieses Stück ist eine windschiefe Hütte, zusammengezimmert aus Fundstücken – und mit einer vollkommen uneinheitlichen Dramaturgie.

Was bedeutet das für die Inszenierung?

Diese seltsame Widersprüchlichkeit muss man zeigen. Das Stück erfordert daher verschiedene Spielstile: Es geht vom puren Naturalismus bis zur aufgesetzten Trompeterei. Vielleicht wird man uns vorhalten: "Wo bleibt die linke Stoßrichtung?" Dann kann ich nur erwidern: "Zeigen Sie die mir einmal!"

Es gibt zumindest den Befund: "Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."

Aber das ist nicht links! Links wäre, wenn zuerst die Moral kommt. Das ist Fatalismus! Brecht zeigt den sozialen Darvinismus der raubtierkapitalistischen Gesellschaft. Er zeigt uns aber nicht, wie es anders funktionieren könnte. Vielleicht ist das auch der Witz des Stücks: Die Welt auf den Kopf zu stellen. Denn die Bettler sind bei ihm genau die gleichen Kapitalisten.

Eignet sich die "Dreigroschenoper" für Bezüge zur Gegenwart?

Nein. Wenn ich die politischen Zustände sezieren wollte, würde ich das mit dem Skalpell machen, aber nicht mit dem Brecht der "Dreigroschenoper". Einen Gegenwartsbezug braucht es auch nicht. Das Theater zeichnet sich seit der Antike durch tiefe Skepsis aus. Und diese Skepsis übertrifft bei Weitem die Entlarvungslust und Anklagesucht der kritischen Geister der Gegenwart. Das Theater ist wenig tauglich, um Antworten zu finden. Dann wird es rasch selbst ein Symptom der Krankheit, die es zu beschreiben glaubt. Wenn man sich immer auf der richtigen Seite bewegen will, führt das zu Zappelei und Undeutlichkeit.

Ihnen aber ist es generell wichtig, etwas deutlich zu machen.

Deswegen suche ich die Immanenz in Stücken. Zudem ist Entfernung fruchtbar. Wenn man ganz nah an der Landkarte ist, sieht man vielleicht Nürnberg. Wenn man weiter zurücktritt, hat man die Chance, ganz Europa zu sehen – und vielleicht noch einen Zipfel von Afrika. Ich muss mich daher nicht explizit mit Aktualität beschäftigen. Das Maskieren mit Modernität taugt nicht unbedingt, um das Gültige eines Stückes kenntlich zu machen.

Im letzten Jahrzehnt hat man aber sehr wohl Formen entwickelt, um sich profund mit der Gegenwart auseinandersetzen zu können. Ich denke zum Beispiel an das postdramatische Doku-Theater von Rimini Protokoll.

Es soll die allergrößte Vielfalt am Theater geben! Unbedingt! Aber ich gehöre zu jenen, die ein bisschen archäologischer vorgehen: Ich versuche, den Staub behutsam wegzublasen, um zu sehen, ob darunter noch etwas ist. Das heißt aber nicht, dass ich etwas Museales herstellen will. Es hat sich durchgesetzt, alte Stücke mit allerlei Versatzstücken modern zu maskieren. Und es gibt dazu passend ein fragwürdiges Bühnendeutsch: Da wird drauflosberlinert, nur weil es hauptstädtisch klingt. Solche Inszenierungen werden gerne konsumiert, weil man ihnen Zeitgenossenschaft unterstellt. Aber widerständig zu sein gegen das, was sich durchgesetzt hat, ist manchmal fruchtbarer. Ich bin, wenn Sie so wollen, ein Obskurant.

Ein Obskurant? Inwiefern?

Ich glaube noch an Begriffe wie Schönheit, Anmut und Seele, ich glaube an Themen wie Liebe oder Erinnerung – also an Begriffe, die geradezu verpönt sind. Es geht mir um einen menschlichen Ausdruck, also letztlich um das identifikatorische Theater. Ich glaube, dass ich damit größere Empathie stiften kann als über Dauerironisierungen und Dekonstruktionen.

Die "Dreigroschenoper" bekommt eine neue Frisur. So zumindest beschreibt es Martin Lowe. Der Grammy- und Tony-Preisträger zeichnet nämlich für den vielleicht spannendsten Aspekt der Salzburger Inszenierung verantwortlich: Er hat die berühmten Melodien Kurt Weills in einen zeitgemäßen Sound übersetzt. Nicht mehr die 1920er-Jahre, sondern die Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts stehen nun Pate.

"Ich habe alle meine musikalischen Einflüsse ins Spiel gebracht. Und das sind wirklich viele!", sagt Lowe im KURIER-Gespräch.

Welche? "Wie alle Menschen liebe ich Tom Waits, ich schätze die minimalistischen Komponisten wie Philip Glass und John Adams. Swing, Cole Porter, Gershwin. Und ich LIEBE Björk!" Lowe sagt "liebe" dabei so, dass man es groß schreiben muss.

Das gilt offenbar auch für das Finale: Lowe, der u. a. musikalischer Leiter beim Londoner Abba-Musical "Mamma Mia!" und auch beim dazugehörigen Film mit Meryl Streep war, hat "ein wirklich großes Finale geschrieben, wie bei einem großen Musical". Jeder Song soll "seine eigene kleine Persönlichkeit" bekommen.

Kein Nervenzusammenbruch

Dass es für diese musikalische Auffrischung die Rechte des Verlags gab, ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb hat die einmalige Neuproduktion der Salzburger Festspiele auch einen neuen Namen bekommen – und läuft nicht als "Dreigroschenoper", sondern als "Mackie Messer – eine Salzburger Dreigroschenoper".

Hat Lowe vielleicht hin und wieder die Stimme eines kleinen, imaginären Kurt Weill im Ohr gehabt, der sagte: "Tu das nicht?" Lowe lacht. "Nein, dann hätte ich einen Nervenzusammenbruch bekommen. Es ist natürlich eine schwierige Aufgabe, denn es ist ein sehr, sehr berühmtes Werk, das viele Menschen lieben. Und ich liebe es auch! Ich habe versucht, nicht viel daran zu denken, was Kurt gesagt hätte. Das können wir ja nicht wissen!"

Gewaltige Felsenreitschule

Für Salzburg jedenfalls darf es eine Spur ausufernder sein: "Ich dachte: Ein größeres Orchester zu haben wird für Salzburg gut sein. Die Felsenreitschule ist ja gewaltig!"

Wobei ja Salzburg heuer die Zahl der Produktionen und Aufführungen ordentlich reduziert hat. Auch Lowe, der an vielen Musicalbühnen der Welt dirigierte, merkt einen Schrumpfungsprozess in der Branche.

Unterhaltung ist Bildung

"Es gibt weniger Geld, kleinere Produktionen, kleinere Besetzungen. Aber wir Künstler ändern uns mit. Das ist unser Job."

Und wenn es um die Finanzierung geht, "ist Kultur oft ganz unten im Bewusstsein der Menschen angesiedelt. Da geht es um Spitäler, Bildung, Gesundheit. Aber ich denke, wir leisten etwas wirklich Wichtiges. Unterhaltung ist auch eine großartige Form der Bildung."

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