Die Beichte nach dem Irak-Krieg und zehn Banküberfällen
Nico Walker - Bild oben - ist noch bis November 2020 eingesperrt.
Danach wird er bestimmt mit seinem Roman „Cherry“ auf Amerika-Tournee gehen, und wahrscheinlich wird es dann heißen: Hätte Ernest Hemingway über den Irak-Krieg geschrieben – er hätte eine ähnliche Satzmelodie angeschlagen. (Was kompletter Unsinn ist.)
Und wahrscheinlich wird Nico Walker (dann ist er 36) bereitwillig zugeben, dass ihm der Verlag sehr geholfen hat. Denn wäre es nach ihm allein gegangen, wäre sein „Held“ – also er selbst – ein unsympatisches A...
Hingegen ist er jetzt ein sympathisches A...
Vanessa
Walker wurde im Alter von 19 Soldat, im Irak war er als 20-, 21-Jähriger an 250 Gefechten als Sanitäter involviert. Mit Orden kehrte er nach zwei Jahren traumatisiert heim.
Er flüchtete zu Heroin, das ist teuer, und überfiel im Großraum Cleveland, Ohio, hintereinander zehn Banken; Beute jeweils ungefähr 4000 Dollar.
Manche Angestellte kannte er schon.
„Wie heißt du?“
„Vanessa.“
„Tut mir leid, Vanessa.“
Und wie heißt du?“
„Sehr witzig, Vanessa.“
„Cherry“ ist ein Begriff für junge Soldaten, die noch nichts erlebt haben.
Und „Cherry“ ist Walkers Beichte, aber nicht ausdrücklich autobiografisch. Aus eigenem Schutz ist sie das nicht: Gezeigt wird nicht allein der grausame Krieg. Sondern auch, wie entmenscht sich einige Kameraden in der Wüste aufführten. Irakische Kinder werden gefoltert, Hunden wird zum Spaß ins Gesicht geschossen.
Nun ist Kevin Powers’ Roman „Die Sonne war der ganze Himmel“ (2013) über einen US-Soldaten im Irak allerdings Sprengstoff genug gewesen ...
... ein Hund trottet mit dem Arm eines Granatenopfers durch den Sand.
Powers, der selbst Maschinengewehrschütze war, veranschaulicht, welche gewaltigen Gefechte sich nach der Heimkehr in den Köpfen abspielen.
Das erfährt man jetzt auch von Nico Walker.
Aber „Die Sonne war der ganze Himmel“ ist ein fein gesponnenes Buch. Kevin Powers versuchte dem Entsetzen mit ein bisschen Lyrik beizukommen.
Regen
„Cherry“ hingegen ist wie ein Neuling unter routinierten Boxern, ungestüm ist dieser Autor, voll roher Kraft, schimpfend, prügelnd, auch auf sich selbst einschlagend, weil:
Wie kann man nur so dumm sein und zur Army gehen anstatt daheim mit seiner Freundin ... und so weiter!
Seltsamerweise berührt „Cherry“ selten. Der Teil, der vom Einsatz im Irak handelt, ist eine reine Aneinanderreihung explodierender Sprengfallen, brennender Panzer, durch die Luft fliegender Körperteile, Pornos schauender Soldaten.
Der eindringlichste Satz ist dem Roman vorangestellt und stammt vom Country-Sänger Toby Keith.
Nämlich:
Dass sich jemand, der solche Erfahrungen gemacht hat, fühlt, als würde die ganze weite Welt auf ihn herunterregnen.
Die Filmrechte wurden inzwischen um eine Million Dollar verkauft.
Nico Walker:
„Cherry"
Übersetzt von
Daniel Müller.
Heyne Verlag.
384 Seiten.
22,70 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
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