Deutscher Buchpreis: Viel Sehnsucht, wenig Hutgesicht

Eva Schmidt aus Bregenz
Von den sechs Romanen im Finale ist im Internet der Sommer eines 16-Jährigen Favorit.

Bei einer Internet-Umfrage des deutschen Buchhandels führt "Skizze eines Sommers" – Kandidat für den "besten deutschsprachigen Roman des Jahres". Der Deutsche Buchpreis wird am 17. Oktober verliehen. Der KURIER stellt die sechs Finalisten kurz vor, vier Deutsche und zwei Österreicher.

Eva Schmidt, "Ein langes Jahr" (Verlag Jung und Jung):

Man merkt gar nicht, dass die vielen kleinen Beobachtungen der Vorarlbergerin so etwas wie einen Roman ergeben; dass sie sich verbinden, sich verwandeln und groß werden – obwohl im Hochhaus und in den Straßen am Bodensee nichts Spektakuläres passiert. Ein kleiner Bub hätte gern einen Hund, ein alter Mann hat einen Hund, eine Frau wird beobachtet, wie sie strickt … Sehnsucht haben die Menschen. Sie wissen nicht, wonach.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

Reinhard Kaiser-Mühlecker, "Fremde Seele, dunkler Wald" ( S. Fischer):

Der Oberösterreicher fühlt sich verpflichtet, die archaische Dorfwelt erfahrbar zu machen. Er sucht sich seinen Stoff nicht aus – er MUSS ihn nehmen. Er gibt jenen Menschen eine Stimme, deren Gebete nicht erhört wurden: im aktuellen Buch zwei Brüdern, von denen sich der eine rasch vom Bauernhof verabschiedete.

KURIER-Wertung: ****

Bodo Kirchhoff, "Widerfahrnis" (Frankfurter Verlagsanstalt):

Vielleicht ist es jetzt ja genug damit, ihn mit John Updike zu vergleichen. Vielleicht gibt man dem 68-Jährigen jetzt einfach einmal den Buchpreis ... für eine Liebesgeschichte im Alter, schön – und (aber) hart am Kitsch. "Er" war Verleger und sperrte seinen Verlag zu, weil die Leut’ lieber selber Bücher schreiben, anstatt zu lesen. Und "sie" sperrte ihr Hutgeschäft zu, weil es immer weniger Hutgesichter gibt.

KURIER-Wertung: ****

Philipp Winkler, "Hool" (Aufbau Verlag):

Die Frage, ob Winkler selbst Hooligan war, wurde genug strapaziert. Der Literatur-Student hat in der Szene gut recherchiert und die Wut eines Jungen festgehalten – sowie dessen großes Herz für seine Blutsbrüder und für die Fußballmannschaft Hannover 96. Trotz des Radaus (und iobwohl im Nebenrraum ein Geier wohnt) ein leiser Roman.

KURIER-Wertung: ****

Thomas Melle, "Die Welt im Rücken" (Rowohlt Berlin):

Persönliche Favorit: Ein Mann und seine Krankheit – er ist manisch-depressiv. Melle dämonisiert nicht und stellt sich nicht ins Geniale. Er erzählt bloß, dass er sich einbildete, mit Madonna geschlafen zu haben, dass Sting sein Vater sei; dass er mit dem toten Thomas Bernhard in Wuppertal einen schlechten Hamburger gegessen habe. Schmerzlich gut.

KURIER-Wertung: *****

André Kubiczek, "Skizze eines Sommers" (Rowohlt):

Sturmfreie Bude bei einem 16-Jährigen im Sommer 1985. Perfekte Alltagsmomente, z. B. dann, wenn man dem schönsten Mädchen eine Musikkassette selbst aufnimmt. Oder Rimbaud liest. Auch wenn man Napoleon-Brandy trinkt? Außerdem ist das – was das Lebensgefühl betrifft – ein DDR-Roman. Lässig und leicht.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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