Der Tod des Schriftstellers im Parka

Der Tod des Schriftstellers im Parka
Kritik: Die Garage X dramatisierte Michel Houellebecqs preisgekrönten Roman "Karte und Gebiet" als groteske Künstlerkomödie.

Es ist ein Roman über den Weltabschied, den Michel Houellebecq 2010 veröffentlicht hat. Mit "Karte und Gebiet" überraschte der oft als nihilistischer Grantler, Frauenfeind und Provokateur abgetane Schriftstellerstar seine Kritiker: Da war plötzlich feine Selbstironie, Humor und eine Überfülle an Themen und Motiven - abseits von Sex und galliger Weltverachtung. Dafür gab es für den französischen Autor von "Ausweitung der Kampfzone" und "Elementarteilchen" auch endlich den Prix Goncourt.

Da Romandramatisierungen der letzte Schrei sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis der überraschend szenenreiche Roman ans Theater kam. An der deutschen Fassung versuchte sich im Vorjahr zunächst Falk Richter am Düsseldorfer Schauspielhaus. Nun nahm sich die Garage X in Kooperation mit der ARGE Kultur Salzburg des Textes an. Es ist die zentrale Produktion der neuen Saison der Wiener Off-Bühne, die gerade mit dem Spezial-Nestroy für die Saison 2011/12 ausgezeichnet worden ist. Ali M. Abdullah, der auch inszenierte, und Hannah Lioba Egenolf richteten die Übersetzung von Uli Wittmann für die Bühne ein. Sie schälten einzelne Szenen aus dem 400-Seiten-Roman heraus.

Künstlermilieu

In dem Künstlerroman inszeniert Houellebecq seinen eigenen grausamen Tod, was voraussetzt, dass der Schriftsteller auch selbst Teil der Handlung ist. Hauptfigur ist allerdings Jed Martin, der eher unfreiwillig mit seinen Fotografien von Michelin-Landkarten zum Künstler avanciert. Dessen erste große Ausstellung befördert die russische Michelin-Öffentlichkeitsarbeiterin Olga (Aylin Esener), mit der sich auch eine wechselhafte Liaison entwickelt.

Richtigen Erfolg genießt der Künstler erst, als er sich der figurativen Porträtmalerei zuwendet. Mit dem zentralen Werk: "Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf". Weil Jed von seinem Galeristen (Florian Carove) das Prinzip der Selbstvermarktung gelernt hat, sucht er den Starautor Houellebecq auf, und bittet ihn, das Vorwort für den Ausstellungskatalog zu verfassen. Der zynische Kettenraucher, der sich aus Gram über die Welt in seinem irischen Landsitz verkriecht, stellt sich plötzlich als wohlmeinender Auftragsschreiberling zur Verfügung. Alexander Simon stattet diese herrliche Selbstpersiflage des Autors mit viel eitler Komik aus. Als saufender Parka-Träger stiefelt sein Houellebecq über die mit Zeitungspapier ausgelegte Bühne - und trampelt so auch gewissermaßen auf seinen Kritikern herum.

Die detaillierten Beschreibungen der französischen Kunstszene und das Namedropping von hierzulande nicht bekannten Medienfiguren wurden weitgehend gestrichen. Erwähnt werden Houellebecqs Verlegerin Teresa Cremisi und Autorenstar-Freund Frédéric Beigbeder. Abdullah und Egenolf konzentrieren sich auf die Haupt-Figurenkonstellationen im Roman und verbinden die einzelnen Szenen teils mit Conférencen und von einem Live-Gitarristen (Florian Kmet) gespielten Chansons. Das funktioniert eineinhalb Stunden lang sehr gut und hat Tempo. Die Gespräche zwischen Houellebecq und Martin (quirlig und überzeugend gespielt von Dennis Cubic) unterhalten bestens und haben etwas von den überdrehten Kunstspießer-Dialogen einer Yasmina Reza.

Kitsch-Weihnachtsbaum

Der Tod des Schriftstellers im Parka

Als dann, nach einigen Party-Sequenzen und dazugehörigem Erbrechen (er ist ja doch noch da: der Weltekel) die Vater-Sohn-Geschichte in den Mittelpunkt rückt und Jed an seinem obligaten Weihnachtsbesuch mit der Krebserkrankung seines Vaters konfrontiert wird, ist repetitiver Stillstand angesagt. Dies liegt nicht nur an der eher farblosen Darstellung des Vaters von Horst Heiss, sondern auch an dem singenden Elektro-Kitsch-Weihnachtsbaum "Douglas". Während dieser zum x-ten Mal "Santa Claus is coming to Town" und "Jingle Bells" krakeelt und somit die Unfähigkeit, die Tragik in Sprache zu gießen, mit einem Zuviel an Regie-Idee unterstrichen wird, sehnt sich das Publikum bereits spürbar nach der Pause.

Doch zuvor wird über Video-Einspielung noch der grausame Mord an Houellebecq angedeutet. Polizeiermittler finden die mit einem Laserschneider zerstückelten Überreste des Autors, der laut Roman-Text bloß noch als abstrakt-expressionistisches Spritz-Kunstwerk à la Jackson Pollock "vorhanden" ist. Warum in diesen wirren Kamera-Sequenzen ein Zeitungsausschnitt mit dem Titel "Ermittler rechnen mit Anklage gegen Grasser im Herbst" gezeigt wird, und somit auch an dieser Stelle heimische Polit-Unkultur hereingeholt wird, weiß wohl nur der Regisseur selbst.

Polizei-Groteske

Nach der Pause nimmt der Abend wieder Fahrt auf. Man findet sich plötzlich in einer mit Slapstick überladenen Polizei-Groteske wieder. Alle fünf Akteure tauschen nun ihre Rollen im Minutentakt. Zwischen französischer Krimi-Folklore, Kottanesker Blödelei und Inspektor Columbo ("Meine Frau ist ein großer Fan von Ihnen") kann man sich hier seine Bezugspunkte aussuchen. An Tiefe bleibt nicht mehr viel über. Jeds Reise nach Zürich, als dieser nach dem Tod des Vaters die Verantwortlichen einer Schweizer Sterbehilfe-Organisation zur Rede stellt und ordentlich vermöbelt, wird wieder per Video angerissen, lässt aber an Eindringlichkeit vermissen.

Der Kriminalfall wird herunterdekliniert und gelöst, und die Ansage eines Polizisten ("Es geht natürlich ums Geld") führt wieder zurück zu so etwas wie einem übergeordneten Thema - die Endzeit des Medienkapitalismus: Das von Jed gemalte Houellebecq-Porträt, dessen Raub als Mordmotiv herhalten soll, wurde um 12 Millionen Euro an einen indischen Telekom-Anbieter verkauft. Wo bleibt hier noch die Kunst?

Utopische Pastorale

Der Tod des Schriftstellers im Parka

Houellebecqs Roman endet in einer utopischen, in naher Zukunft spielenden Pastorale. Der alternde und  mitterweile stinkreiche Jed Martin hat noch ein Mal die Kunstrichtung gewechselt, lebt auf dem Land in einem selbst designten Themenpark mit eigener kilometerlanger Landstraße. Dort filmt er erratische Sequenzen - ohne Menschen. Wofür auf der Bühne keine Bilder gefunden werden, wodurch es nur nacherzählt werden kann.

"Die Karte ist interessanter als das Gebiet" war das Motto von Jeds erster Ausstellung. Und einer seiner Sinnsprüche: "Ich will die Welt darstellen. Ich will ganz einfach die Welt darstellen.“ Houellebecqs Kunstbetrachtung gipfelt im Roman mit der Aussage: "Ich habe mit der Welt der Narration abgeschlossen". Der Maler bekennt schließlich, ebenfalls den Glauben verloren zu haben, dass eine künstlerische Darstellung der Welt möglich sei. Und verkündet den Sieg der Vegetation.

Während dieser Abschied des Künstlers von der Welt im Roman mit viel Ironie und für Houellebecqsche Verhältnisse sanft daherkommt, gehen diese Zwischentöne in der Garage X im grotesken zweiten Teil des Abends etwas unter. Zumindest die Sentimentalität, die im Roman mitschwingt, wurde mithilfe der Musik herübergerettet. Das Ensemble singt Joe Dassins "Salut les amoureux" zur Musik von "City of New Orleans". Lang anhaltender Applaus und Jubel für alle Beteiligten.

KURIER-Wertung: **** von *****

INFO: "Karte und Gebiet" nach Michel Houellebecq. Garage X - Petersplatz 1, Wien 1.
Weitere Vorstellungen: 22.11. (ausverkauft), 30.11., 1.12., 21.12, 22.12., 11.1.2013, 27.1.2013, jeweils 20:00 Uhr
www.garage-x.at

Kommentare