Sogar Wurmbrand interessiert
Dass jetzt unübersehbar „Der Thronfolger“ in den Buchhandlungen liegt, könnte/ sollte/müsste die Wiederentdeckung des vor fast 70 Jahren im englischen Exil verstorbenen Ludwig Winder aus dem Prager Kreis um Max Brod bedeuten.
Seine Frau hatte auf diesen Tag, allein in einer armseligen Londoner Wohnung, noch Jahrzehnte bis zu ihrem Tod erfolglos gewartet.
Man braucht kein spezieller Freund von Geschichten über Grafen und Baronessen zu sein.
Dieses vergessene, nur 1937 in Zürich und 1984 in der DDR veröffentlichte Buch ist sensationell.
Beim Lesen wird man derart involviert, dass selbst der intrigante Wurmbrand zu interessieren anfängt. Dabei war der doch „nur“ der Kammervorsteher bei Franz Ferdinand.
Und man lechzt danach, zu erfahren, was aus den Geschwistern des Erzherzogs geworden ist. Dabei steht eh alles da, chronologisch aufbereitet. Also Geduld, Geduld!
Es ist unglaublich, was dieser Roman aus Habsburg-Banausen machen kann.
Es ist unfassbar, dass „Der Thronfolger“ nicht längst neben Joseph Roths „Radetzkymarsch“ steht. Im Nachwort der Neuausgabe – eine brillante Zugabe – beklagt es der Germanist Ulrich Weinzierl.
Gebete
Ludwig Winder (1889– 1946) gelang ein Porträt Franz Ferdinands, das noch heute von Historikern geachtet wird.
Ein Sachbuch (fast), das allerdings keineswegs immer auf Distanz bleibt. Sondern sich sogar erdreistet, Kaiser Franz Josephs Neffen beim verzweifelten Beten zuzuhören.
Und die Liebesbezeugungen an die spätere Ehefrau Sophie wiedergibt.
Nichts hier ist schwarz-weiß gezeichnet. Obwohl: Franz Ferdinand war ein Machtmensch, ohne Macht zu besitzen. Dass er die Slawen einbeziehen und Österreich in eine dreifache Monarchie führen wollte, hat er sich – ein Einäugiger unter Blinden – nicht einmal laut zu sagen getraut.
Immerhin hatte er Offiziere niederbrüllen und mit Spott überschütten können.
Wenn ihm die – genau wie er so unbeliebte – Sophie über den Arm streichelte, dann beruhigte er sich.
Wollust
Ein strenger, ungesunder, finsterer Mensch, der am liebsten die Wiener Gemütlichkeit ausgerottet hätte.
Mindestens 270.000 Tiere hat er erschossen. Elefanten, Koalas, Kolibris, Gämsen, Hasen, Hirsche ... „Während des Schießens drang seine Männlichkeit in den Schoß der Natur ein und ergoss sich seine Wollust in Mord und Tod“ (Zitat Ludwig Winder).
Nichts wird auf dem Weg nach Sarajevo, 28. Juni 1914, Ecke Franz-Joseph-Straße/Appelkai vergessen.
Aber auch nicht die Demütigungen durch den Kaiser. Und nicht das Bild des liebenden Familienvaters.
Der alte Wurmbrand schaffte es übrigens nicht bis zum Obersthofmeister. Franz Ferdinand verhinderte es. Auch das will man wissen.
Jetzt erst.
Jetzt schon.
KURIER-Wertung:
INFO: Ludwig Winder: „Der Thronfolger“ Nachwort von Ulrich Weinzierl. Zsolnay Verlag. 576 Seiten. 26,80 Euro.
Machen wir uns nichts vor: Auch wer kein Depp ist, muss sich nicht unbedingt bei Franz Ferdinand und Sarajevo besonders gut auskennen.
Auch der Kärntner Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und nicht zuletzt Jurist Janko Ferk ist mit solchem Wissen nicht großgezogen worden. Aber dann hat er sich für seinen Roman „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ gut ein Jahr lang intensiv damit beschäftigt.
Und war mehrfach überrascht. Worüber?
In Sekunden
Im Originalton lautet die Antwort wie folgt:
1) Über die sehr schwierige Persönlichkeit Franz Ferdinands. Gefragt habe ich mich, ob er befähigt gewesen wäre, als Staatsoberhaupt zu agieren.
2) Über Franz Ferdinands nüchterne Einstellung zu den Slawen. Als Slawenhasser kann gerade er nicht bezeichnet werden.
3) Schließlich hat mich am meisten überrascht, dass ich mir – je genauer ich mich mit der Materie beschäftigt habe – fragen MUSSTE, ob Gavrilo Princip tatsächlich der Attentäter war. Princip hatte eigentlich keine Schießausbildung, hat aber geschossen und getroffen wie ein Meisterschütze – binnen Sekunden zwei Tote. Schafft das heute ein Sniper? Natürlich weiß ich, dass er aus unmittelbarer Nähe geschossen hat. Aber hatte er dazu die Nerven?
Diese Fragen sind auch im Prozess nicht erörtert worden. Eigentlich sollte man den Prozess – mit den heutigen Erkenntnissen, Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern – nachspielen.
Das Urteil wäre nicht uninteressant.
Ende Originalton Ferk.
„Der Kaiser schickt Soldaten aus“ ist ein dialogreiches Buch, das man sehr schätzen kann. Das Amtsdeutsch jener Zeit wird in die heutige Literatur übergeführt.
Es ist die Essenz aus vielen Stoffen, die am Ende 15 Millionen Tote ergaben. Klar, dass auf 160 Seiten nicht weit ausgeholt werden kann.
Aber es ist sogar Platz für ironische Zwischenbemerkungen des Autors. Sie wirken verzichtbar, sind es aber nicht. Denn damit wird eine brauchbare Verbindung hergestellt: Autor und Leser staunen gemeinsam über die vielen Idiotien.
Bis 1389
Franz Ferdinand ist unsympathisch. Der uralte Kaiser steht ihm da nicht nach.
Janko Ferk beschäftigt sich ausführlich mit Gavrilo Princip (und mit dem historischen Boden, der 1389 mit der Schlacht am Amselfeld aufbereitet worden ist).
Er ist Kärntner Slowene, seine Sprachkenntnisse erlaubten ihm, Originaldokumente zu lesen. Er war in Klagenfurt Untersuchungsrichter, auch in Mordfällen. Er ist ein Dichter, und diese Mischung hat was.
KURIER-Wertung:
INFO: Janko Ferk: „Der Kaiser schickt Soldaten aus“ Styria Premium. 160 Seiten. 19.99 Euro.
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