Der Thriller, in dem Frauen nur 100 Wörter am Tag reden dürfen
„Vox“ lässt sich hervorragend anpreisen. Etwa so:
„Wenn Sie nur 100 Wörter pro Tag sagen dürfen – was machen Sie, um sich Gehör zu verschaffen?“
Oder so: „In einer Welt, in der Frauen nur hundert Wörter am Tag sprechen dürfen, bricht eine das Gesetz.“
Auch wenn’s manchmal nach Mehr klingt: „Vox“ ist ein Thriller. Das darf man nicht vergessen, dann ist der Roman empfehlenswert (naja, gegen Ende strapaziert er mit Medizinischem, und alle wirken müde).
Galgenhumor
Selbstverständlich hat
Christina Dalcher nichts dagegen, wenn „Vox“ als feministische Literatur durchgeht, als Aufforderung, sich von Idioten nichts gefallen zu lassen.
Aber die Amerikanerin hat Margaret Atwoods „Report der Magd“ gelesen (mit einer Zukunft, in der Frauen nur Gebärmaschinen sind.)
Und ihr ist bewusst, keine Atwood zu sein; und probiert es dankenswerterweise nicht; und macht nur neben der spannenden, mit Galgenhumor ausgestatteten Handlung klar, welches Geschenk Sprache ist.
Also: Es regieren rechte Fundamentalisten, sie haben in den USA Frauen an den Herd zurückgestellt, Beruf dürfen sie keinen haben, kein Konto, und ein Zählwerk an der Hand teilt Stromschläge aus, wenn sie am Tag mehr als 100 Wörter sagen. (Wir sagen durchschnittlich 16.000.) Schulmädchen verlernen überhaupt zu reden, denn wichtig ist, sie können rechnen, um nicht zu viel Haushaltsgeld auszugeben.
Ehebrecherinnen kommen in Konzentrationslager, ihr Wörter-Limit: Null.
Hühnerfarben
Hauptperson ist – wie Dalcher – eine Sprachwissenschaftlerin mit feigem Ehemann und drei Kindern – wobei am großen Sohn gezeigt wird, wie leicht Manipulation gelingt, denn er meint, für Mama sei es sowieso das Beste, sie hält den Mund.
Als den Bruder des Präsidenten der Schlag trifft und er nur noch brabbelt, soll sie ihm helfen.
Warum im Roman ein Hühnerzüchter den Unsinn verzapft, braune Hühner legen braune Eier, weiße Hühner weiße, müssen sich Landwirte und Biologen unter den Lesern mit der Autorin direkt ausmachen.
Christina
Dalcher: „Vox“
Übersetzt von
Marion Balkenhof und
Susanne Aeckerle.
S. Fischer.
400 Seiten
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
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