Der polnische Chor des Hasses

"Dunkel, fast Nacht": Joanna Bator sorgt sich, dass "alte" Opfer zu Henkern werden könnten.

Was ist denn das für ein großartiger Roman!

Er schleicht sich als Krimi an: In einer polnischen Stadt sind Kinder verschwunden.

Er kommt als schaurige Familiengeschichte daher: Alicja Tabor, Journalistin aus Warschau, zieht ins leer stehende Vaterhaus, im Keller modert der einst geliebte Teddybär.

... der Vater: Gestorben, vom Geröll zertrümmert, während er in den alten Bergwerksstollen nach Hitlers Gold suchte;

... die ältere Schwester: Selbstmord hat sie als 17-Jährige begangen. Das Warum wird man erfahren. Tut sehr weh. Alicja wollte nie mehr zurück. Aber jetzt will sie eine Reportage über die Kinder schreiben.

Gut versteckt in anderen Genres blättert "Dunkel, fast Nacht" eine Gesellschaft auf, die zwar gern Kruzifixe am Hals trägt, aber von Hass geprägt ist.

Ein Chor des Hasses tritt auf. Alicja recherchiert auch im Internet, in Foren wird in Zusammenhang mit den befürchteten Verbrechen geschrieben:

"ich persönlich bin ja keine rassistin, aber fremde kann ich nicht leiden."

"Zigeuner verkaufen unsere Kinder an bulgarische Pädophile."

"Hi, ich bin auch Rassist, aber aus Erfahrung, nicht wegen der Vorurteile ..."

Die polnische Schriftstellerin Joanna Bator fragt, ob und unter welchen Umständen "dieses noch unausgegorene Böse sich in reale Gewalt verwandeln kann ..."

Verschwörungstheorien, wonach z. B. in Strichcodes Nachrichten übermittelt werden und geheime Mächte – Sinti? Brüssel? – Polen erobern wollen, paaren sich schrecklich mit "Vater unser".

Papst Wojtilas Knochen helfen immerhin gegen alles.

Noch dazu handelt es sich bei der Stadt um Wałbrzych – vor dem Krieg: Waldenburg mit Schloss Fürstenstein und Tunnelsystem, gebaut von SS bzw. von 3000 KZ-Insassen, die danach dort erschossen wurden. Der Boden blutet.

In einem Interview hat Joanne Bator gemeint, es sei Zufall, wer zum Henker wird und wer zum Opfer. Dass Polen Opfer war, bedeute nicht, dass das Opfer nicht Täter werden könnte.

Höchstwertung!

Joanna Bator:
„Dunkel, fast Nacht“
Übersetzt von Lisa Palmes.
Suhrkamp Verlag.
511 Seiten.
25,70 Euro.

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