Der neue Murakami: Hurra, ein Loch!

Nicht nachdenken, nur schlucken, was der Japaner im neuen Zweiteiler "Die Ermordung des Commendatore" serviert.

Die ersten zwei Seiten sind die besten.

Ein Porträtmaler soll einen Mann ohne Gesicht porträtieren – also das Nichts soll er malen.

Klingt schwierig, sollte aber zu schaffen sein.

Denn Haruki Murakami kann ja auch nichts schreiben, sogar in einem Roman, der aus zwei Teilen besteht, zwei Mal rund 500 Seiten. Band zwei folgt am 16. April.

Schlucken

Mit dem Roman ist es wie mit Zucker: Man weiß, dass Zucker unsinnig ist. Doch gibt es Momente, da steckt man trotzdem ein "Maoam" nach dem anderen in den Mund und genießt.

Sollte ein Murakami-Moment vorliegen: Nur zu, nur zu, es wird schmecken. Man darf sich halt keine großen Gedanken machen, sondern nur schlucken, was "Die Ermordung des Commendatore" bietet ...

Nach dem Prolog mit dem Mann ohne Gesicht, der in Band eins keine Rolle mehr spielt, wird dem namenlosen Erzähler (= Ich) von seiner Frau höflich-japanisch mitgeteilt:

Sie will nicht mehr mit ihm zusammenleben. Warum? Keine Ahnung.

"Ich", ein erfolgreicher 36-jähriger Porträtmaler, zieht sich daraufhin in die Einsamkeit zurück: in die Villa des berühmten Malers Tomohiko Amada, der in Wien studiert hat. Dessen Sohn – Freund aus Studententagen – erlaubt es ihm, denn sein Vater liegt dement im Heim.

Langes Gesicht

"Ich" entdeckt auf einem (selbstverständlich geheimen ) Dachboden ein Gemälde mit Schildchen, auf dem der Titel steht "Die Ermordung des Commendatore" – Der Commendatore wird erstochen – die berühmte Szene aus "Don Giovanni":

Der Wüstling bringt den honorigen Alten um, der seine Tochter Donna Anna beschützen wollte.

Im Vordergrund des Gemäldes schaut ein langes Gesicht aus einem Loch. Das passt gar nicht zu Mozarts Oper.

Es wird auch im Wald nahe der Villa ein Loch geben, versteckt unter einem Berg großer Steine. Und im Loch liegt – ein Holzstab mit Glöckchen. Ist denn das die Möglichkeit?

Löcher machen sich gut in Büchern. Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründen die einen Arbeitskreis. Die anderen erfinden ein Loch.

Das sind die Nebelwerfer unter den Schriftstellern. Haruki Murakami, Kandidat für den Nobelpreis, ist einer der besten Nebelwerfer.

Er hat schon in zwei vorangegangenen Romanen Löcher verwendet. Spricht man ihn im Interview darauf an, sagt nur nur: "Ach so?"

Man tut seiner "Ermordung des Commendatore" nichts Gutes, verrät man mehr über die paar Wesentlichkeiten des Inhalts.

Sonst bleibt nämlich zum Lesen nur noch übrig: Der Porträtmaler hört untertags Schallplatten mit Opernmusik. Am Abend hört er lieber Beethoven.

Und: Er isst wenig. Oft taucht er nur rohes Gemüse in Mayonnaise und schaut sich dabei das Gemälde an.

Und er schaut noch immer. Und schaut.

Wien 1938

Aber es wird freundlicherweise schon noch einen – geheimnisvollen – Nachbarn geben. Es wird sogar ein – sehr richtig: geheimnisvolles – Schulmädchen geben, das porträtiert wird.

Und immer, wenn die Gefahr besteht, dass ein Leser genug hat von dem Nichts, kommt eine kleiner Überraschung.

Das kann ein Glöckchen sein. Oder dass der Commendatore aus dem Gemälde lebendig wird. (Hier ist die Gefahr am größten, das Buch wegzulegen.) Aber es ist gar nicht der Commendatore.

Es ist bloß – eine Idee. Eine was? Eine Idee im Gewand des Commendatore. Eine einen Meter große Idee, die sich aufs Sofa fallen lässt ... Sachen gibt’s heutzutage!

In Teil zwei wird in das Wien des Jahres 1938 geschaut. Bitte nicht fragen, woher dieses Wissen kommt.

Nicht nur Murakami kann zaubern.


Haruki
Murakami:

„Die Ermordung des Commendatore
Band 1.
Übersetzt von
Ursula Gräfe.
DuMont Verlag.
480 Seien.
26,80 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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