Eigentlich sei er ja nur zu zwanzig Prozent Künstler, sagt Yoshitomo Nara. Und er wundere sich, dass er überhaupt als solcher Erfolg haben konnte. Eigentlich wolle er nämlich vor allem reisen.
Tatsächlich wirkt der Japaner, der beim Treffen mit dem KURIER ein T-Shirt mit der Aufschrift „Daytime Work Needed“ („Tagesbeschäftigung gesucht“) trägt, ein bisschen wie zufällig in die Albertina Modern gestolpert. Dass seine Zeichnungen – oft auf alten Kartons, Briefumschlägen oder losen Zetteln ausgeführt – in dem für seine Grafiksammlung weltberühmten Museum ausgestellt sind, scheint ihn zu erstaunen. Doch es ist wohl auch Koketterie in seinem Auftreten.
Denn Nara – mit seinem Turnschuh-und-Kapperl-Outfit ganz der Hipster, mit 63 Jahren aber schon nah am Pensionsalter – ist ein Star, er kann sich Tagesfreizeit leisten. Ausstellungen in Australien und den USA trugen seinen Status, den er in seiner Heimat längst besitzt, zuletzt in neue Weltgegenden; der Rekordpreis für eines seiner Gemälde, 2019 in Hongkong erzielt, lag bei 25 Millionen US-$ (22,5 Mio. Euro).
Süße Ironie
Naras Bildwelt scheint dabei eine Brücke zwischen den (mittlerweile oft zu Wohlstand gelangten) Kids der 1990er-Jahre und der „Generation Z“ heute zu schlagen: Da wie dort verknüpft er ein Verlangen nach Widerständigkeit mit einer zugänglichen Bildsprache, aus der immer auch der Wunsch spricht, das Kinderzimmer eigentlich nicht verlassen zu wollen.
„Fuck U“ deutet das Manga-Mädchen mit Vampirzähnen und gestrecktem Mittelfinger auf einem Bild von 2015, wobei Naras süß-grantige Markenzeichen-Figur auch „genderfluid“ sein könnte, wie man heute sagt. Das Liebliche (englisch: „cute“, japanisch: „kawaii“) ist ein Stilmittel Naras, allerdings wird es in den Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen des Künstlers ständig in Abgründe geschubst.
Atelier im Puppenhaus
Wer sich eine Weile in den Räumen der Albertina Modern aufhält – die Schau (bis 1. 11.) fokussiert auf das zeichnerische Werk Naras – dem bleibt die Melancholie und Widerborstigkeit nicht lange verborgen. Die Vokabel „Drawing“ (Zeichnen) und „Withdrawing“ (sich zurückziehen) liegen bei ihm nah beieinander – ausbuchstabiert ist das im Werk „My Drawing Room“, dem Nachbau eines Ateliers in Form eines großen Puppenhauses im hinteren Teil der Schau.
Auch in den Zeichnungen selbst ist die Weltverweigerung ein Thema: „Für immer tot möchte ich sein/ leg mich in das Grab hinein“, steht über dem Bild einer Figur, die sich Dornröschen-mäßig in eine Kiste gelegt hat.
Die deutsche Inschrift hat damit zu tun, dass Nara zwölf Jahre in Deutschland lebte – erst als Student der Kunstakademie in Düsseldorf und später in Köln. „Vielleicht ist es wichtig, dass ich mich in einer Umgebung befinde, in der nicht meine Sprache gesprochen wird“. Wer seine Arbeit verstehe, der tue das auch ohne den Text.
Seine Studienkollegen hätten ihn in Düsseldorf im Übrigen mehr inspiriert als die renommierten Malerprofessoren, sagt Nara. Die (wenigen) Gemälde in der Schau, in denen die großäugigen Figuren lebendige Hauttöne und abgründig-böse Spiegelungen in den Augen bekommen, zeigen aber, dass der Mann das malerische Handwerk versteht. Dennoch habe er im letzten Jahr nur zwei Bilder gemalt, erklärt er.
Kollegen wie Takashi Murakami, neben Nara Hauptvertreter der sogenannten „Superflat“-Bewegung, haben sich längst industrialisiert, stehen riesigen Atelierbetrieben vor und lassen ihre Motive auf limitierte Luxushandtaschen drucken. Nara arbeitet weiter allein. „Not selling out“, sich nicht dem Kommerz hinzugeben, war in seiner formativen Periode in den 90ern der Zeitgeist. Heute, wo sich etliche junge Leute aus den Erfordernissen des Hamsterrades verabschieden, erscheinen 20 Prozent wieder sehr „Contemporary“.
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