Der Fötus hätte gern ein drittes Glas Wein

Ian McEwan
Ian McEwan macht "Kopfüber in einer Frau" aus Hamlet etwas Witziges.

Es erzählt ein Fötus.

Er ist – Wochen vor der Geburt – schon ziemlich klug. Zum Beispiel denkt er darüber nach:

Wird China sich ein Gewissen zulegen?

Wird Europas Traum an schmalspurigen Nationalismen zerschellen?

Der kleine Snob hat’s gern, wenn seine Mutter, die Trudy, Wein trinkt, ein, zwei Gläser. Er hätte gern noch ein drittes und bevorzugt einen Sancerre. Der Pouilly Fumé schmeckt ihm zu dünn.

Liegt aber vielleicht an der Plazenta.

"Draußen" braut sich inzwischen etwas zusammen. Eine Hamlet-Geschichte beginnt.

Der Onkel vom Fötus

Die werdende Mutter hat nämlich einen Liebhaber, es ist der Bruder vom Vater, des Fötus’ Onkel ...

... und würde der Autor, der sich (und uns) den Roman "Nussschale" antut, nicht Ian McEwan heißen – das alles würde sich hinten und vorne schwer ausgehen.

Obwohl der 68-jährige Engländer ein derartiges Kaliber ist, muss er sehr auf der Hut sein, damit man das Buch nicht vor dem erwartbaren Finale weglegt.

Es ist vor allem McEwans Witz, der letztlich gewinnt.

Ein Haus für Trudy

Der seltsame Erzähler wird vom Sex, den die Trudy mit Onkel Claude hat, schlimm durchgebeutelt. Deshalb ist es kein Wunder, dass ihm der ruhigere Papa John lieber ist.

John ist Lyriker, das ist besser als ein Trottel wie der Bruder zu sein. Er wohnt nicht mehr bei seiner Frau: Er hat der Trudy sein geerbtes, Millionen teures Londoner Haus vorübergehend allein überlassen, damit sie nachdenken und zu ihm zurückfinden kann.

Haha.

Okay, der Papa ist also auch nicht ganz dicht.

Jedenfalls will die Trudy nur das Haus und kurzen Sex mit dem Trottelbruder und wird deshalb in einen Smoothie Gift mischen.

Der Fötus hat Angst und überlegt Selbstmord mittels Nabelschnur, und man kann sich vorstellen, welchen Spaß Ian McEwan beim Schreiben seines 14. Romans hatte – beginnend mit dem ersten Satz: "So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau."

McEwan rechnete mit schlechten Kritiken für den Unsinn; und hat mit den sehr guten Kritiken in England jetzt noch mehr "Spaß".

Ian McEwan:
„Nussschale“
Übersetzt von Bernhard Robben.
Diogenes. 288 Seiten. 22,70 Euro.
Erscheint am kommenden Mittwoch.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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