Wenn das Private ein Verbrechen ist

Der Circle – das sind fast alle, vernetzte Gefangene der Hightech-Idustrie in einem globalisierten System freiwilliger Selbstentblößung  
Der Roman "Der Circle" von Dave Eggers zeigt die Welt fest im Griff der Internetindustrie.

Schon das Jetzt ist kein Zuckerschlecken. Die Zukunft erst recht nicht. Eine Zeit ohne Geheimnisse. Ohne Überraschungen. Voll transparent.

Vom gläsernen Menschen und von einer Firma, die im digitalen Totalitarismus alles über uns weiß, erzählt Dave Eggers in "Der Circle".

Von einer Hölle, die sich als Paradies verkleidet hat. Mit einem freundlichen Big Brother. Der bitter-sarkastische Bestseller-Roman ist in Amerika ein kontroversiell diskutiertes Manifest unserer nahen Zukunft.

Die New York Times hat der literarischen Abrechnung mit dem Internet-Zeitalter bereits mehrere Artikel gewidmet. Einer schönen neuen Welt. Wirklich schön?

Auf den ersten Blick allemal smart in einer Zeit, in der Smartphones allwissende Lebensverwalter sind.

Ultimative Transparenz herrscht in der Welt, die Eggers beschreibt, eine Welt, in der das Private verboten, ja, sogar ein Verbrechen ist.

Soziale Kontrolle

Der Autor wollte in seiner Fabel über das Leben in einer fiktiven Googlefacebookappleamazontwitter&Co.-Unternehmenskrake erzählen, "die auf den ersten Blick nur das Wohltätigste und Beste im Sinn hat".

Aus der Sicht der jungen und naiven Kundenbetreuerin Mae Holland. Sie soll helfen, das neueste Produkt unter die Leute zu bringen: "SeaChange" ist eine Kamera für die Hemdtasche, die alles, was geschieht, direkt ins Netz überträgt.

Wobei der Witz an der totalen Überwachung der Gegenwart ist: Alle geben – und das ist der Unterschied zu George Orwells Klassiker der negativen Utopie "1984" – freudig freiwillig ihre Daten her. Und alles Private auf.

Während das System die Daten sammelt und vernetzt. Natürlich alles nur zu unserem Besten. Aber Karriere im Konzern macht nur, wer möglichst viel von sich preisgibt. Die anderen werden verwarnt. Wer seinen Alltag nicht teilt, gilt als Egoist. Das Motto beim großen Bruder des 21. Jahrhunderts ist: "Geheimnisse sind Lügen. Teilen heißt sich kümmern. Privatsphäre ist Diebstahl."

Da wird die Weböffentlichkeit – nicht die NSA – zum Big Brother. Dabei läuft die Gehirnwäsche im Schonwaschgang ab: freundlich und unendlich kommunikativ. Zwar ist niemand gezwungen, ein Smartphone zu kaufen und in Sozialen Netzwerken sein Profil anzulegen.

Aber es gibt den mehr oder weniger sanften Druck des praktischen Sozialverhaltens: Jeder soll für andere ansprechbar sein, für alle Kontaktmöglichkeiten offen bleiben. Denn sonst könnte er von der Gesellschaft abgehängt werden.

Am Ende steht die Frage, die sich die gedankenlosen Konsumsklaven der neuen Technologien kaum stellen, die aber der jüngst verstorbene Publizist Frank Schirrmacher so schön auf den Punkt brachte: "Die Frage ist nicht, ob ich mein Smartphone beherrsche. Die Frage ist, ob mein Smartphone mich beherrscht."

Dieser Terror des permanenten Kontakts sei "das perfekte Rezept für permanente zwischenmenschliche Katastrophen", sagt Dave Eggers in einem seiner seltenen Interviews in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Er hatte ein halbes Jahr nicht nur keine eMail-Adresse, sondern war überhaupt offline. Jetzt kommt er gerade wieder zurück: "Ganz reduziert." Und wundert sich, wie die Leute "da eine gute Balance hinkriegen, die auf allen möglichen Plattformen aktiv sind".

Literarisch schwach

Es gibt ja tatsächlich Leute, die Flöhe husten hören können, bevor sie Schnupfen haben. Und Dave Eggers hat ein Gspür für große Themen und eine Ahnung von ihrer katastrophischen Nachtseite.

Wenn das Private ein Verbrechen ist
Circle

Aber so gut das Thema einer Analyse der gesellschaftlichen Gefahren der digitalen Welt gewählt ist: Die literarische Qualität hält da bei Weitem nicht mit.

Die Figuren – Schattenrisse statt Charaktere – bleiben ohne Tiefgang. Und werden beim Spiel mit Ängsten auch nicht g’scheiter, sondern bleiben Klischee.

Überzeugendere Lese-Alternative zum selben Thema sind Tom Hillenbrand mit dem Krimi "Drohnenland", der die Gefahr totaler Überwachung durch den Staat und ihm assistierende Privatunternehmen sieht.

Oder Glenn Greenwalds Dokumentation "Die globale Überwachung" – die Geschichte seiner Begegnung mit Edward Snowden und die Erläuterung einiger wichtiger Dokumente der NSA.

KURIER-Wertung:

INFO: Dave Eggers: „Der Circle“, Roman, aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 560 Seiten, 22,99 €.

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