Der Bankberater und das Telefon
Er hebt tatsächlich ab. Und lacht. Alle haben ihm abgeraten, seine Telefonnummer ins Buch zu schreiben.
Er hat’s getan. Sogar mit Vorwahl für die österreichischen und Schweizer Leser.
Eigentlich ist + 43 (176) 62138954 die Nummer von der Romanfigur Tilman Rammstedt, einem Schriftsteller.
Weil aber der richtige Tilman Rammstedt in Berlin das Telefon abhebt (noch macht er es!), kann man davon ausgehen, dass es sich um dieselbe Person handelt.
Damit wäre wenigstens das geklärt.
Regenwurm
Rammstedt schreibt, dass er an einem Roman über seinen Bankberater arbeitet.
Der allein würde ein Buch füllen. Vielleicht nicht gerade das spannendste Buch: Dieser Bankberater vergleicht einen Bausparvertrag mit einem Regenwurm und würde gern den passenden Tierlaut dazu machen.
Aber das schafft er nicht.
Dieser Bankberater zeigt gern seine Briefmarkensammlung her. Sie besteht aus einer eingerissenen 55-Cent-Marke.
Ihm fehlen die Briefmarken, sagt er.
Diesem "Helden" drückt der Schriftsteller Rammstedt in dem Roman, den er schreibt (und der "Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters" heißt), einen Revolver in die Hand und lässt ihn seine Bank überfallen. Leider drückt jemand den Alarmknopf, und die Polizei umstellt das Haus ...
eMails
Wer bereits stöhnt, wird gleich verzweifeln.
"Metafiktion" sagen Fachleute dazu. Literatur, die von Literatur handelt. (Wolf Haas hat es im neuen Bestseller "Verteidigung der Missionarsstellung" vorgezeigt.)
Der Schriftsteller Tilman Rammstedt will, dass der Bankberater die Situation gut übersteht. Deshalb schreibt er eMails an Bruce Willis, den alten Haudegen, der im Film schon Schlimmeres überlebt hat.
Er will ihn für die Action-Szene engagieren.
"Würde mich freuen!" Ihm gibt er seine Telefonnummer bekannt. Aber Bruce Willis meldet sich nicht.
Nie.
Da kann Rammstedt in seinen eMails an den Schauspieler noch so freundlich sein. Oder zornig werden.
... also flüchtet er halt selbst mit seinem Bankberater (seinem ehemaligen Bankberater, denn den Job ist der sicher los) in den Wald, auf einen Fluss ...
Der Roman soll ja rechtzeitig fertig werden. Der DuMont Verlag hat den Erscheinungstermin mit Ende Oktober festgesetzt.
Stress!!!
Man muss verdammt gut sein, um die Geschichte so zu erzählen, dass man sich nicht über die Hirnakrobatik wundert, sondern genießt.
Es ist ein überdrehtes, oft sehr komisches Buch.
Der 37-Jährige brachte 2008 die Bachmann-Jury zum Lachen. Eine beachtliche Leistung. Der folgende Roman "Der Kaiser von China" war dann große Komödie – obwohl Requiem für den Großvater, der nach China wollte, aber nur bis in den Westerwald vordrang.
PS: Er – der echte, der einzige Rammstedt – hat Bruce Willis tatsächlich eine eMail in die USA geschickt.
PPS: Keine Antwort.
KURIER-Wertung: ***** von *****
WEITERE NEUERSCHEINUNGEN
Nonsens: Ein Seil bis nach Luang Prabang
Früher wuchs man mit der Nonsens-Bildergeschichte auf: "Es war einmal ein Mann, der hatte einen Schwan. Der Schwan war ihm zu nass, da legt’ er sich ins Gras." Das kennen die Jungen nicht mehr. Ist halt so. Aber vielleicht freuen die sich (gemeinsam mit den Älteren) über die Version von Hans Traxler, dem Meister aller komischen Künste: mit einem Schiff, das auf sechs Beinen lief; und einem Seil, das war so lang – bis nach Luang Prabang. So jung wie Traxler müsste man bleiben! 83 ist er erst. - P.P.
KURIER-Wertung: **** von *****
Antonioni: Kino in einem einzigen Satz
"Sie hat versucht, ihn zu lieben, und sie hat es geschafft": Wie viele Kilometer Film hätte er gebraucht, um diesen Satz auf die Leinwand zu bringen? Filmregisseur Michelangelo Antonioni (1912–2007) schrieb nebenbei Skizzen, in denen er intensiv verdichtete. Oft notierte er Einfälle, um sie später in einem Drehbuch zu verwenden. Aber gleich hatte er den nächsten Einfall und den nächsten, und er verwarf und verwarf. Immer ging es um die Liebe, fast immer interessierte ihn dabei die Frau. Neuauflage. - P.P.
KURIER-Wertung: **** von *****
Kameliendame: Nur ein bisschen Staubwischen
In früheren Übersetzungen der "Kameliendame" des jüngeren Alexandre Dumas hat man sogar das Wort Kurtisane vermieden und es bei "femme entretenue" bleiben lassen. Es war also Zeit für eine neue Übertragung: für ein bisschen Staubwischen, damit man wieder sieht, wie modern der 164 Jahre alte Roman über die selbstlose Liebe ist. Was Andrea Spingler – preisgekrönte Übersetzerin von Gide, Sartre – geleistet hat, merkt man sofort und ist gleich mitten drinnen in einem der berühmtesten Bücher der Welt. - P.P.
KURIER-Wertung: ***** von *****
Vögel: Die Existenz ist eine Zumutung
Nur ein paar Comic-Tauben. Schicksale mit Federn. Sie philosophieren. Der Amerikaner Anders Nilsen hat 15 Jahre an seinem Opus Magnum gearbeitet. Man sieht, wie sich der Stil änderte. Man liest: „Weißt du, ständig das gleiche Saatgut zu futtern, das macht mich fertig.“ – „Aber es gibt hier mindestens fünf verschiedene Sorten Saatgut ...“ Für den Grazer Schriftsteller Clemens J. Setz ist es das Buch des Jahres: Kein anderer Roman, der die Zumutungen der Existenz beschreibt, habe ihn derart belebt. - P.P.
KURIER-Wertung: ***** von *****
Kommentare