Deerhunter-Sänger Bradford Cox: „Die Welt muss verfallen“

Deerhunter-Sänger Bradford Cox: „Die Welt muss verfallen“
Der 35-Jährige Bandchef macht sich im KURIER-Interview Gedanken über den Verlust der Humanität, der Kultur und der Natur.

„Du bist in Wien? Wow!“ Bradford Cox, Sänger und Chef von der Band Deerhunter ist vom KURIER-Interview begeistert, bevor es noch begonnen hat. „Ich lese gerade das Buch ,Arrogance’, in dem Schiele die Hauptfigur ist“, erklärt er. „Und meine Lieblingskomponisten sind Webern und Schönberg.“

In seiner Musik beeinflusst haben ihn die, das sagt er gleich dazu, kaum. 2001 gründete Cox mit dem Drummer Moses Archuleta Deerhunter. Seither hat die Band Alben veröffentlicht, deren Sounds von experimenteller Elektronik bis Noise-Rock reichte und lyrisch von Coxs schwieriger Kindheit und seinem Gesundheitszustand informiert waren. Der 35-Jährige leidet an einer seltenen Bindegewebserkrankung und hatte 2014 einen Autounfall, der einen Spitalsaufenthalt und eine Depression nach sich zog.

 

Soeben ist das achte Album „Why Hasn’t Everything Already Disappeared?“ erschienen. Musikalisch neigen sich Deerhunter damit dem Indie-Pop zu, bei dem eingängige Melodien mit Instrumenten wie Harpsichord, Cello, Mandoline und mit gelegentlichen Dissonanzen, Ambient-Passagen oder Ausbrüchen rabiater Gitarren unterlegt werden. Ein Werk mit vielen tollen Momenten, das manchen Fans der ersten Stunde aber zu poppig ist.

 

Deerhunter-Sänger Bradford Cox: „Die Welt muss verfallen“

Speziell in Bezug auf die Inhalte, die Cox mit „Why Hasn’t Everything Already Disappeared?“ transportiert. Denn dieses Album ist geprägt von seiner dystopischen Weltsicht. Doch Cox selbst sieht keine Diskrepanz zwischen seinen Sounds und der Hoffnungslosigkeit der Songs, die den Verlust von Humanität, Kultur und Natur beklagen: Er mache musikalisch nur das, sagt er, was seiner Meinung nach die Story am besten illustriert.

Pessimistisch

Aber sieht er die Zukunft wirklich so pessimistisch? „Noch mehr, als du glaubst“, sagt er. „Wir könnten zwar einiges tun, um das alles in den Griff zu kriegen. Aber es wird nicht passieren. Ich meine, was soll man von einer Gesellschaft für die Zukunft erwarten, die Flüchtlinge ertrinken lässt?“

 

Deerhunter-Sänger Bradford Cox: „Die Welt muss verfallen“

Deerhunter mit Bradford Cox (Mitte)

Den Verlust der Kultur führt Cox auf das Internet zurück: „Das hat eine Explosion an Information kreiert, von der das allermeiste negativ ist. Und das führt dazu, dass sich die Leute danach sehen, nur mehr Spaß zu haben. Die Leute wollen nichts als tanzen und Sex haben!“

Auch in der Natur sieht Cox eine Reduzierung auf ein primitiveres Level. Das kann aber daran liegen, dass er „Why Hasn’t Everything Already Disappeared?“ in der Wüste in Marfa in Texas aufgenommen hat, als er dort mit mit Cate Le Bon an einem Projekt für ein Festival arbeitete.

 

„In Atlanta bin ich in einer Umgebung mit üppiger Vegetation, Bäumen und Weinstöcken. Aber in Marfa ist alles karg, weil sich höher entwickelte Fauna und menschliches Leben um Wasserquellen schart. Vielleicht lag mein Schock darüber auch an diesem Unterschied. Und es ist natürlich sehr leicht und dramatisch zu sagen, dass sich die Welt aufgrund des Klimawandels dahin zurück entwickeln wird. Aber der Grund für den Verlust aller dieser Dinge geht ja möglicherweise auch viel tiefer. Ich meine in Bezug auf Lebenszyklen: Wenn die Welt derart aufgeblüht ist, muss sie auch einmal wieder verfallen.“

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