Debatte um Raffael: Erkennt Künstliche Intelligenz große Kunst?
Sie verschönern längst die Bilder unserer Kameras, verschlagworten und vergleichen sie. Wenn nun aber Algorithmen vorgeben, ein originales Meisterwerk erkennen zu können – ist das dann mit Expertise zu vergleichen?
Eben erst wurde in einem Museum der nordenglischen Stadt Bradford ein Gemälde präsentiert, das ein bislang unbekanntes Werk des Renaissance-Genies Raffael sein soll. Als solches klassifiziert wurde es von einer Künstlichen Intelligenz (KI).
Bereits im Februar hatte das Wall Street Journal von einem anderen, per KI als authentisch deklarierten Raffael-Bild berichtet, das in einem Banksafe in Chicago lagert.
„Nicht von Raffael“
Kenner sind skeptisch, zumal die Technologie auf Modellen zur Gesichts- und Mustererkennung basiert. „Diese Art des Vergleichens physiognomischer Details führt gerade bei Kopien zu keinem Erfolg, da der Nachahmer alles daran setzt, jedes Detail so getreu wie möglich zu wiederholen“, sagt Achim Gnann, Experte für italienische Kunst an der Wiener Albertina und Kurator der dortigen Raffael-Schau 2017/’18, zum KURIER. „Die Bestimmung eines Originals ist aber wesentlich komplexer. Man muss die Pinselführung, die Figuren- und Raumauffassung sowie auch immer die Möglichkeit einer Änderung und stilistischen Entwicklung des Künstlers mitberücksichtigen.“
Das „De Brecy Tondo“ genannte Rundbild, das starke Ähnlichkeiten mit Raffaels „Sixtinischer Madonna“ aus der Gemäldegalerie in Dresden besitzt, stammt nach Gnanns Einschätzung ebenso wenig von Raffael wie das Gemälde in Chicago.
„In der Ausführung fehlt das für Raffael typische Transparente, der lichte Schleier, der die Physiognomien in seinen Bildern umgibt. Die Farben sind trockener, haben nicht den Schmelz, und den Figuren fehlt das für Raffael charakteristische Lebendige, Atmende und die weiche Fülle der Körper“, so Gnann. „Ich glaube auch nicht, dass die Kopie von einem der Schüler oder von einem Künstler aus dem unmittelbaren Umkreis Raffaels gemalt wurde.“
KI datiert nicht
Dass das Rundbild als Studie vor der Sixtinischen Madonna entstanden sei, wie in einem Konferenzpapier zu dem Fall behauptet wird, ist durch die KI-Analyse nicht zu belegen. Das räumt auch Hassan Ugail ein, der als Informatikprofessor an der Uni Bradford die Untersuchung leitete. Im Gespräch mit dem KURIER appelliert er aber, die Kapazitäten der Algorithmen nicht zu unterschätzen.
Aufbauend auf existierenden KI-Modellen habe er sein System mit Raffael-Originalen und Vergleichswerken anderer Maler trainiert, sagt er. Mit Bildern konfrontiert, die nicht Teil des Trainingsprozesses waren, konnte das System echte Raffaels zu 96 % richtig zuordnen.
Welche Muster und Verbindungen das System dabei etablierte, entzieht sich aber der genauen Kenntnis des Computerwissenschafters. „Die KI schaut ein Gemälde nicht so an, wie ein Mensch es tut. Aber sie schaut sehr tief, und sie tut es in einer systemischen Art und Weise“, sagt Ugail. Die Trefferquote würde zeigen, dass es funktioniert: „Nur weil man nicht genau weiß, worauf der Algorithmus schaut, kann man nicht sagen, dass er falsch liegt.“
Wer seinen Computer (oder auch nur sein eigenes Auge) mit dem Werk von Raffael (1483 – 1520) vertraut machen möchte, kann seit einiger Zeit auf hochwertiges Ausgangsmaterial zurückgreifen: Im Taschen Verlag ist der 720 Seiten starke Band „Das Gesamtwerk“ erschienen. Es ist die bislang umfassendste Publikation zum Werk des Künstlers, der – nicht zuletzt durch seine Madonnenbildnisse – ein Schönheitsideal schuf, das über Jahrhunderte nachwirkte. Mit seiner Ausgestaltung von Räumen im Vatikan und seiner Mitarbeit am Bau des Petersdoms zählt der früh verstorbene Raffael neben Leonardo und Michelangelo zu den Idealkünstlern der Hochrenaissance.
Das Buch (154,30 Euro) widmet den zahlreichen Phasen und Facetten des Werks ausführliche Kapitel setzt damit jene Reihe von Künstlermonografien fort, die glanzvolle Aufmachung und Top-Reproduktionsqualität mit dem Anspruch einer wissenschaftlichen Monografie vereinen. Erfasst sind schließlich alle Gemälde, Fresken, Gebäude sowie die Teppiche, die Papst Leo X. 1515/’16 für die Sixtinische Kapelle in Auftrag gab.
Geknüpfte Geschichte
Das Kunsthistorische Museum Wien knüpft mit seiner Herbstausstellung ab dem 26. September an ebenjene Teppichserie mit Motiven aus der Apostelgeschichte an. Die Originale befinden sich zwar weiter im Vatikan, die Vorlagen (Kartons) im Londoner Victoria & Albert Museum – in Brüssel, wo die Entwürfe einst von spezialisierten Werkstätten ausgeführt wurden, stieß die Serie aber eine Fülle von Folgewerken an. Die Tapisseriekunst des 16. und 17. Jahrhunderts erlebte dadurch einen Qualitätsschub. Die KHM-Sammlungen können dies mit ihrer umfassenden Teppichsammlung abbilden – doch die Werke können wegen ihres fragilen Zustands nur in einer Sonderschau gezeigt werden.
Im Vorfeld konnte der Kurator Achim Gnann für die Albertina auch ein exquisites Blatt erwerben, das in der KHM-Schau erstmals gezeigt wird: Es stammt von Giovanni da Udine, einem Mitarbeiter Raffaels, und ist eine vorbereitende Zeichnung für die Kraniche im Teppich mit der Szene des „Wunderbaren Fischzugs“.
Digital ist... anders
Menschliche Experten und Expertinnen müssen stets ein Stück weit auf ihre – ebenfalls nicht bis ins letzte erklärbare – Intuition hören. Sie sind dabei auch fehlbar. Die digitale Welt verspricht mit ihren exakt quantifizierten Wahrscheinlichkeiten hier „Kunst-Authentifizierung ohne die Unsicherheit“: So lautet zumindest der Slogan des Schweizer Start-ups „Art Recognition“, das u. a. einen Befund zum Raffael-Anwärter in Chicago erstellte.
Firmengründerin Carina Popovici räumt gegenüber dem KURIER aber ein, dass der Output immer stark vom Ausgangsmaterial abhängig sei. Rund 100 Bilder seien notwendig, um das System auf einen Künstler hin zu „trainieren“. Bei unbekannten Künstlern sei oft nicht genug Material vorhanden.
„Restauratorische und technische Untersuchungen sind zwar von größter Bedeutung, doch wird das kennerschaftliche Urteil weiterhin unerlässlich sein“, resümiert Albertina-Experte Gnann. Er ist dabei gar nicht so weit von Informatikern wie Ugail entfernt. „KI ist einfach ein weiteres Werkzeug“, sagt dieser. Dass es sich langsam, aber sicher als Mittel der Kunst-Analyse etablieren wird, bezweifelt er freilich nicht.
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