Das Publikum giert nach Inszenierungen, die es unter dem Jahr nicht kriegt
Fast hätte die Neuproduktion der Festspiele Reichenau abgesagt werden müssen. Denn bei den Proben zu Werner Schwabs königlicher Radikalkomödie „Die Präsidentinnen“ gerieten sich Marcello de Nardo und Petra Morzé derart in die Haare, dass bei der Polizeiwache in Payerbach Anzeige eingebracht worden sein soll. Maria Happel, die Intendantin, feuerte – so das Gerücht – beide Streithanseln. Und sprang als Erna ein. Für die Rolle der unerschrocken mit ohne Plastikhandschuhen in Exkrementen wühlenden Mariedl gewann sie ihre alte Burgtheaterkollegin Therese Affolter.
Etwas Besseres hätte gar nicht passieren können. Denn das gutbürgerliche Publikum jenseits der 70 steht nicht unbedingt auf genderfluide Besetzungen. Die brillante Affolter zog daher den Karren aus dem Dreck. Zum Verkaufsschlager werden „Die Präsidentinnen“ dennoch nicht: Obwohl drei Termine ersatzlos gestrichen wurden, gibt es für alle noch anstehenden Vorstellungen Karten.
Ganz anders die Situation bei Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ mit Robert Meyer als Melchior – ganz klassisch – und Regisseur: Selbst die 92-jährige Tante Ihres Tratschpartner war von der Inszenierung angetan. Ja, das ist das Theater, nach dem sich Ihresgleichen sehnt.
Dafür nimmt man auch eine Anreise bei mörderischer Hitze in Kauf. Denn im Burg- und Volkstheater wird Komödie – ganz klassisch inszeniert – ja nicht mehr angeboten. Doch auch die alten Herrschaften haben ein Recht auf ein Theater nach ihrem Geschmack. Ihnen den „Jux“ zu empfehlen, ist leider müßig: Ausnahmslos alle Vorstellungen sind restlos ausverkauft.
Was also ist noch anzuraten? „Tartuffe“ fand die Tante ihres Tratschpartners nicht so super (ihr Mann drückte es weit drastischer aus). Weil viele ähnlich denken, unterblieb die Mundpropaganda. Es gibt folglich noch Karten.
Der diesjährige Theater- und Opernsommer jedoch beeindruckt. Im Arkadenhof des Schlosses Kobersdorf begeistert Wolfgang Böck als sich selbst erkennender Menschenfeind derart, dass am 4. August eine Zusatzvorstellung von Ferdinand Raimunds „Alpenkönig“ angehängt wurde. Auch „Don Carlo“ entfachte im Kaiserhof des Stiftes Klosterneuburg Stürme der Begeisterung; Bassist Günther Groissböck, der vor 20 Jahren hier den Sarastro in Mozarts „Zauberflöte“ gegeben hatte, kehrte in doppelter Funktion (als Regisseur und Philipp II.) „mit Bravour“ zurück, wie Peter Jarolin vermerkte. Die Folge ist eine Zusatzvorstellung am 6. August. Der geschätzte Kollege war auch von Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“ bei der Operette Langenlois in Schloss Haindorf angetan.
Ihr Tratschpartner kann durchaus das schmissige Singspiel „Im weißen Rössl“ im Arkadenhof von Schloss Weitra empfehlen – wie auch die Uraufführung von Peter Turrinis „Es muss geschieden sein“ bei den Raimundspielen in Gutenstein. Und er würde Ihnen Shakespeares „Sturm“ nahelegen. Doch im Stadttheater Gmunden waren nur drei Vorstellungen angesetzt. Zu sehen ist die Produktion erst wieder ab 12. Oktober – im Stadttheater Klagenfurt.
Auch im Sub-Genre Jukebox-Musical vernahm man Jubeltöne: Markus Spiegel bescheinigte der Erstaufführung von „Jersey Boys“ in Amstetten Broadway-Niveau, Kollege Jarolin war von „Mamma Mia!“ in Mörbisch restlos begeistert. Alle Vor- und Zusatzvorstellungen sind ausverkauft. Für den nahe gelegenen Steinbruch von St. Margarethen hingegen würden Sie an jedem Spieltag (bis 20. August) Karten bekommen. Doch Sie müssten Leidensfähigkeit mitbringen, das Bühnenbild soll „eher hässlich“ sein. Kollege Guido Tartarotti wiederum war recht enttäuscht von „Don Quijote“ im Hof der Burg Perchtoldsdorf. Eine Warnung vor „Kleine Eheverbrechen“ im Stadttheaterchen von Grein hat sich erübrigt: Es gibt keine Vorstellungen mehr.
Aber auch wenn nicht alles glückt, sollte man nachsichtig sein: Viele der Sommerproduktionen werden mit bescheidenen Förderungen und viel Enthusiasmus realisiert. An den Wiener Bühnen ist es mitunter genau umgekehrt. Das Volkstheater zum Beispiel, das bereits im Mai in die Sommerferien ging (und die Hütte an die Festwochen bzw. Impulstanz vermietete), setzt im gesamten September gerade einmal sieben Vorstellungen auf der großen Bühne an. Oder das Schauspielhaus in der Porzellangasse: Das neue Team lässt sich gar bis 3. November (!) Zeit bis zur ersten Premiere. Die Subventionen sind wohl derart üppig, dass man fast keine Einnahmen erwirtschaften muss.
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