Keine Sorge. Den Luster gibt es natürlich immer noch. Das „Los 666“ in der Auktion von ausrangiertem Tand der Pariser Oper. Am Beginn von „Das Phantom der Oper“ steht auch ein Kronleuchter zum Verkauf. In der Originalproduktion des Musicals fuhr er als erster großer Spezialeffekt gen Auditoriumshimmel. In der neuen Version, die am Freitag im Raimundtheater Premiere feierte, hängt er da schon, allerdings in einen Lumpen gehüllt. Der verschwindet dann wie magisch, wenn unter blitzender Illumination die Ouvertüre mit der berühmten Bombastrock-Tonfolge anhebt. Es wird nicht das letzte Mal an diesem Abend gewesen sein, dass es nach abgebrannter Tischrakete riecht. Pyrotechnik ist eine der Säulen der Illusionsmaschinerie dieser Produktion.
Cameron Mackintosh hat 2011 zum 25-jährigen Jubiläum dem Musical von Andrew Lloyd Webber einen neuen, dynamischeren Look verpasst. Die Bühnenbilder, die schon sehr die kitschigen Romantik-Vorstellungen der 80er vermittelten, wurden sachte modernisiert. Sie erinnern jetzt weniger an Bonnie-Tyler- oder Meat-Loaf-Videos, sind nun modularer, kompakter und effizienter. Gut, das Phantom rudert nicht mehr sehr lang durch den Nebel über dem Katakombensee unter der Oper mit seiner entführten Verehrten. Aber dafür verwandelt sich der Abgang mit herausfahrbaren Stufen im Nu in die nun auch minimalistischere Kandelaber-Höhle des Operngeists. Die Kostüme blieben übrigens gleich, wirken aber in der aufgefrischten Variante erstaunlicherweise gleich viel westwoodiger.
Altmodisch, aber beliebt
Die Geschichte blieb natürlich unangetastet. Immer noch geht es um die mild formuliert toxische Beziehung zwischen einem entstellten Mann und einer schönen Frau. Er, geheimnisvoll mit einer – markentechnisch genial designten – Halbmaske angetan, terrorisiert das komplette Opernpersonal solange, bis seine Angebetete Christine den Durchbruch als Solistin hat. So richtig eskaliert es, als die Jugendliebe von Christine auftaucht, Raoul. Und sie sich für den nicht nur hübscheren, sondern auch weniger mordlustigen Mann zu entscheiden droht.
Ein psychotischer Stalker, das Frauenbild eine Katastrophe: Durch heutige Augen gesehen ist die Geschichte – sie basiert auf dem gleichnamigen Roman von Gaston Leroux aus 1910 – reichlich veraltet. Christine trifft nicht eine einzige Entscheidung selbstbestimmt. Und doch hat „Das Phantom der Oper“ seinen Reiz nie verloren. In London läuft das Musical seit seiner Uraufführung 1986 (!) ungebrochen erfolgreich. Auch in Wien wird das Raimundtheater wohl selten halbleer sein. In Zeiten, in denen sich in Buchhandlungen die Tische biegen vor Glitzercover-Romanen über fantastisch-gruslige Liebesdramen kann auch das „Phantom der Oper“ noch einen Nerv treffen. Düstere Romantik hat offenbar immer Saison.
Mit und ohne Schmelz
Zumal mit Anton Zetterholm ein Glücksgriff die Titelrolle gibt: Er kann die einsamen Qualen der (meist) unerwiderten Liebe mit und ohne Schmelz erschütternd vermitteln. Lisanne Clémence Veeneman bemüht sich mit klarer Stimme redlich, ihrer Christine einen selbstbewussteren Anstrich zu geben. Roy Goldman schafft es hingegen eher selten, die ohnehin blasse Figur des Raoul mit Farbe zu füllen, was aber auch irgendwie nicht stört. Das ganze Ensemble spielt erfreulich wortdeutlich, das Orchester macht das Beste aus Webbers kurioser, aber wirkungsvoller Mischung aus Arienpersiflage, Glam-Synthierock und Broadway-Schmalzpop. Keiner geht hier ohne Ohrwurm raus.
Ein erfreuliches Comeback in Wien nach 31 Jahren. Ach, und der Luster fällt natürlich auch wieder herunter. Keine Sorge.
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