In ihrer Trilogie „Das Leben des Vernon Subutex“ zeichnet die französische Autorin Virginie Despentes schonungslos und pointiert ein facettenreiches Bild der französischen Gesellschaft. Dieses Mosaik reicht vom islamophoben Drehbuchautor Xavier, der es hasst, vom Geld seiner Frau abhängig zu sein, bis zur jugendlichen Aïcha, die sich, weil ihr assimilierter Vater immer nur auf seinen Namen reduziert wird, dem Islam zuwendet.
Miteinander verknüpft sind die Einzelschicksale durch einen lethargischen, aber sympathischen Kerl. Er nennt sich Vernon Subutex und ist ein archetypischer Verlierer: Er hat seinen legendären Plattenladen „Revolver“, Treffpunkt von Musikern und Intellektuellen, schließen müssen und gerät in einen Abwärtsstrudel – bis er als Clochard endet. Doch dann suchen ihn plötzlich alle, weil er vier Stunden brisantes Videomaterial seines verstorbenen Freundes Alex Bleach, eines Popstars, hat.
Anfang Mai erzählte Tomas Schweigen das Stationendrama im Wiener Schauspielhaus geradlinig und verständlich nach. Alexander Eisenach hingegen interessiert sich nicht für den Plot: In seiner faszinierend überillustrierten Inszenierung, mit der am Donnerstag die Saison des Grazer Schauspielhauses eröffnet wurde, legt er sein Augenmerk auf Spotlights und Assoziationen.
Vernon Subutex spielt da nur eine untergeordnete Rolle. Mitunter kann man sich berechtigt fragen, wo denn der Titelheld geblieben ist. Aber die Präsenz durch Abwesenheit leuchtet ein.
Eisenach, der mit den Ressourcen (18 Mitwirkende!) richtig urassen durfte, hat nicht nur seinen Frank Castorf studiert, sondern auch seinen Einar Schleef. Denn die kunterbunt zusammengewürfelte Gruppe formiert sich angesichts der bedrohlichen Veränderungen zu einer Schicksalsgemeinschaft, die Vernon Subutex wie einen Heiland verehrt. Und so gibt es Chorpassagen (etwa über die Selbstgefälligkeit der Reichen), die einem Stück von Elfriede Jelinek entnommen sein könnten.
Psychedelische Zeitreise
Ähnlich zum kommentierenden Muppets-Duo Waldorf und Statler setzt Eisenach Beatrice Frey und Rudi Widerhofer ein: Als Nachgeborene der Atomkatastrophe erzählen sie amüsant von der Subutex-Gruppe, die sich mit analogen Techniken zu helfen weiß. Danach beginnt die optisch beeindruckende Reise in die Vergangenheit: Bleach ist an einer Überdosis gestorben, und Norbert Wally stimmt an der E-Gitarre „Heroin“ von Velvet Underground an. Schließlich ist Vernons Pseudonym „Subutex“ der Ersatz dafür.
Aus dem Boden schraubt sich eine Bar (Bühne: Daniel Wollenzin), in der alle Helden zusammenhocken. Jede und jeder hat einen großen Auftritt: Evamaria Salcher begeistert mit einem hinreißenden „Kill Bill“-Zitat, Julia Gräfner trauert als energische Obdachlose um ihren Hund, die transsexuelle Marcia des Alex Deutinger bringt ein brasilianisches Ständchen. Und Florian Köhler glänzt als „Ausnahmesurfer“ des mit viereinhalb Stunden etwas zu langen Abends: Der Monolog des Spekulanten Kiko ist Wahnsinn pur.
Großes Kino, viel Jubel.
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