Das Gieren nach Geld

Ein Scheiterhaufen aus Mehlsäcken: Die Klageweiber betrauern den Tod des reichen Bauern Petr (Johannes Krisch)
Antú Romero Nunes inszenierte Leo Tolstois "Die Macht der Finsternis" grell im Akademietheater.

Als reifer Mann wurde Leo Tolstoi, der grandiose Romancier, nicht nur zum Vegetarier, sondern auch zum Sinnsucher und Moralapostel. "Die Macht der Finsternis", 1886 auf Basis eines Kriminalfalls geschrieben, ist als Lehrstück und Läuterungsdrama Ausdruck dieses Wandels. Die Tragödie mit Elementen einer radikalen Komödie erinnert zudem, erstaunlich zeitgenössisch, an die "Vorstadtweiber": In der recht grellen Inszenierung, die am Donnerstag im Akademietheater Premiere hatte, geht es vornehmlich um Geld, Sex und Verderbtheit.

Der im Russischen doppeldeutige Titel könnte auch mit "Die Macht der Dummheit" übersetzt werden. Anisja, die ein Verhältnis mit Nikita, dem Knecht hat, vergiftet ihren Mann, den reichen, kränkelnden Bauern Petr. Doch der Traum vom Glück zerplatzt schon bald nach der Hochzeit: Nikita hat das Geld an sich genommen, er führt das Leben eines Emporkömmlings, er schwängert die Stieftochter – und schließlich, bevor er seine Beichte ablegt, verscharrt er das Neugeborene im Keller.

Nikita nimmt zwar alle Schuld auf sich; doch er ist auch ein Spielball der abgefeimten Frauen, die "alle 77 Schliche" kennen. Als Nebentitel verwendet Tolstoi eine Volksweisheit ("Hat ein Vogel sich erstmal verfangen, ist er schon ins Netz gegangen") und als Motto ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: "Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen."

Grober Holzschnitt

Das Gieren nach Geld
Fotoprobe des Theaterstücks "Die Macht der Finsternin" von Leo Tolstoi unter der Regie von Antù Romero Nunes am Wiener Akademietheater am 31.03.2015. Premiere ist am 02.04.2015.

Regisseur Antú Romero Nunes und Dramaturg Florian Hirsch kürzten das naturalistische Stück brutal auf zwei Stunden ein und strichen etliche Nebenfiguren, die für das Atmosphärische wichtig sind. Was bleibt, ist ein Sittengemälde als grober Holzschnitt. Mitunter geht Nunes auch sehr mutwillig mit der Vorlage um. Er betont etwa die Umkehrung der Verhältnisse: Gegengleich zum Aufstieg des Knechts Nikita zum Herrn mutiert Johannes Krisch, der den alten Bauern größtmöglich ungustiös darstellt, zum Knecht Mitrič. Eine Begründung für dieses Wiedergängertum gibt es aber nicht. Außer der, dass beide gerne am Ofen hocken, um sich zu wärmen.

Hinzu kommt, dass Victoria Behr karikaturenhafte Kostüme entworfen hat. Nikita sollte laut Stück ein "Stutzer", also ein Modenarr sein, dem sich alle Frauen anbieten. Fabian Krüger, vollbärtig an Tolstoi erinnernd, steckt jedoch in einer löchrigen Jacke, der Bauch ist derart ballonartig angewachsen, dass er die Hose nicht mehr zubekommt. Breitbeinig wuchtet sich Krüger über die Mehlsäcke, die Florian Lösche zu einem mächtigen Berg gehäuft hat.

Die Überzeichnung der Figuren führt dazu, dass man die gepeinigte Stieftochter nicht als "zurückgeblieben" wahrnimmt: Mavie Hörbiger lüpft bloß dauernd den Rock. Ähnlich seelenlos jagt Aenne Schwarz, ausstaffiert mit einem recht gebärfreudigen Becken, als keifende Gattenmörderin dem Geld hinterher. Kirsten Dene verweigert konsequent das Zerrbild der bösen Hexe. Ihre schwarz gewandete Matrjona, die für ihren Sohn Nikita rücksichtslos nur das Beste will, agiert manipulativ bis zum Äußersten. Und Ignaz Kirchner brilliert: Als erniedrigter, gottesfürchtiger Vater, der den Kapitalismus nicht versteht, fehlen ihm für das, was rund um ihn passiert, die Worte. Zusammen mit Kirsten Dene sorgt er für einen passablen Abend.

Bewertung: Das hochmoralische Stück von Leo Tolstoi in einer radikalen Strichfassung mit grellen Bildern. Trotzdem eine unausgegorene, eher mutwillige Inszenierung.

KURIER-Wertung:

Das Gieren nach Geld
Kirsten Dene (l.) als "Matrjona" und Aenne Schwarz als "Anisja"
Das Gieren nach Geld
Ignaz Kirchner als "Akim" und Johannes Krisch als "Petr"
Das Gieren nach Geld
Johannes Krisch als "Petr" und Aenne Schwarz als "Anisja"

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