Das Gedächtnis der Republik

Das ehemalige Hofkammerarchiv wird zum Literaturmuseum: Johanna Rachinger und Bernhard Fetz, der Leiter des ÖNB-Literaturarchivs
Johanna Rachinger über das Haus der Geschichte, Budgetnöte und das Literaturmuseum.

KURIER: Als Generaldirektorin der Nationalbibliothek haben Sie alle Hände voll zu tun: Sie sind in das Projekt "Haus der Geschichte" involviert, Sie kämpfen um einen Tiefspeicher unter dem Heldenplatz, und am 18. April wird das neue Literaturmuseum eröffnet.

Johanna Rachinger: Im Grillparzerhaus in der Johannesgasse erklären wir auf 750 Quadratmetern Phänomene der österreichischen Literatur. Da der Literaturunterricht in der Schule eingeschränkt wurde, sehen wir das Museum als Ergänzung.

Mit den zugestandenen 2,6 Millionen Euro für die Einrichtung sind Sie ausgekommen?

Selbstverständlich. Seit ich Generaldirektorin bin, haben wir noch nie Baubudgets überzogen.

Sie haben aber kein Geld für den Betrieb des Museums.

Wir forderten eine Erhöhung der Basisabgeltung um 850.000 Euro. Die haben wir nicht bekommen. Mit intensivem Fundraising konnten wir den Ausfall ein wenig kompensieren. Statt zwei Wechselausstellungen im Jahr wird es eben nur eine geben. Die erste eröffnen wir im Frühjahr 2016: Wir laden je fünf junge Autorinnen und Autoren ein, sich selbst und ihr Schreiben darzustellen. Uns ist es wichtig, dass sich die zeitgenössische Literatur lebendig präsentieren kann.

Erst im Frühjahr 2016? Das heißt, dass es bis dahin nur die Dauerausstellung gibt?

Nur? Die Dauerausstellung ist großartig! Wir gehen diversen Fragen nach: Wie leben die Autoren? Warum kommen manche Werke in den Kanon und andere nicht? Wie funktioniert der Literaturbetrieb? Die Ausstellung führt zudem chronologisch von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Eigentlich ist sie ein Haus der Geschichte im Kleinen. Denn gerade in der Literatur manifestieren sich die Bruchlinien der österreichischen Geschichte.

Das Haus der Geschichte soll direkt über den Lesesälen in der Neuen Burg realisiert werden. Es wird daher einen gemeinsamen Eingang geben. Liefert die ÖNB nur Content? Oder wird sie organisatorisch eingebunden?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Eine Anbindung erscheint mir durchaus sinnvoll. Denn die ÖNB steuert die meisten Inhalte bei: Wir haben die größte Sammlung von Plakaten und mit dem Bildarchiv die größte Foto-dokumentationsstelle. Zudem gibt es die räumliche Nähe, wir haben viel Erfahrung mit dem Betrieb von Museen, und eine Anbindung kommt wesentlich günstiger als ein selbstständiges Bundesmuseum. Es ist aber noch keine Entscheidung gefallen. Unabhängig davon: Den Standort finde ich richtig. Denn der Heldenplatz ist ein Erinnerungsort. Vom Balkon der Neuen Burg verkündete Hitler, der die Bücher verbrennen ließ, im März 1938 den "Anschluss". Dass dort, unter dem Heldenplatz, mit dem Bücherspeicher auch das Gedächtnis der Republik gelagert sein soll: Das finde ich als Symbol richtig. Der Heldenplatz wird damit von der Vergangenheit in die Gegenwart geführt.

Reicht überhaupt der Platz für das Haus der Geschichte?

Ich bin davon überzeugt. Man kann auf 3300 Quadratmetern sehr viel unterbringen. Und man darf die Rezeptionsfähigkeiten des Publikums nicht überschätzen.

Ihre Lesesäle platzen aus den Nähten. Könnten im Zuge der Bauarbeiten für das Haus der Geschichte und der Neuaufstellung des Weltmuseums nicht auch die Serviceeinrichtungen der ÖNB erweitert werden?

Wir haben erst vor ein paar Jahren zwei zusätzliche Säle errichtet – und die Öffnungszeiten stark ausgeweitet. Nun haben wir auch am Sonntag von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Das ist weltweit einzigartig. Im Moment finden wir also das Auslangen. Sollten wir tatsächlich mehr Platz brauchen, könnte ein zusätzlicher Lesesaal im Tiefgeschoß realisiert werden – mit dem Bau des Tiefspeichers.

Schon vor acht Jahren beteuerten Sie, dass die Speicherkapazität praktisch erschöpft sei. Nun lagern Sie Bestände bereits in den Dachböden. Glauben Sie noch an die Realisierung des Tiefspeichers?

Unsere Speicher sind 2018 definitiv voll. Danach müssten wir uns irgendwo einmieten. Und das kostet viel Geld. Ja, ich bin zuversichtlich. Denn Kulturminister Josef Ostermayer zeigt Lea-dership. Er will das Projekt umsetzen. Es gibt auch vom Wirtschaftsminister positive Signale. Die Burghauptmannschaft will eine Garage unterbringen, um den Heldenplatz autofrei zu bekommen. Garage und Speicher sollen gemeinsam realisiert werden. Die Mittel aufzustellen, wird nicht einfach sein. Aber wir benötigen die gesamte Kubatur ja nicht auf einmal: Der Speicher wird sukzessive über 30 Jahre hinweg befüllt. Man könnte ihn daher in Etappen einrichten. Zudem haben wir mit der Universität gesprochen. Auch sie hat Bedarf an einem Speicher. Wir könnten am Heldenplatz gemeinsam ein großes Projekt verwirklichen.

Sie haben immer wieder zeithistorische Ausstellungen gezeigt, etwa zum Ersten Weltkrieg und zum "Anschluss". Am 28. April folgt "1945 – Zurück in die Zukunft" – kuratiert von Oliver Rathkolb. Diese Ausstellungen würden doch eher in das Haus der Geschichte passen?

Ja. Als größte Gedächtnisinstitution des Landes haben wir uns verantwortlich gesehen – eben in Ermangelung eines Hauses der Geschichte. Aber keine Sorge: Es gibt genügend Ideen für Ausstellungen, die keine zeithistorischen Themen haben.

Sie kamen bisher immer mit der Basisabgeltung aus. Nun dürfte es auch bei Ihnen langsam eng werden. Oder?

Es gibt negative Jahresbudgets, aber wir werden noch 2016 ausgeglichen bilanzieren können. Dann sind alle Rücklagen aufgebraucht. Sie machen derzeit knapp 6 Millionen aus. Das heißt: Für 2017 brauchen wir eine Erhöhung der Basisabgeltung um vier oder fünf Millionen Euro.

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