Wir Spätgeborene können uns es nicht mehr vorstellen: Eine Stadt wie Berlin in den 1920ern, als Kriegsinvalide mit amputierten Gliedmaßen und zusammengenähten Gesichtern zum Straßenbild gehörten. Auch vom Berlin vor 1989, in dem viele Lücken und Brachen klafften, die seit dem 2. Weltkrieg offen standen, haben viele kein Bild mehr. „Wie können Menschen jeden Tag ihre Selbstverstümmelung ansehen?“ fragte sich Gundula Schulze Eldowy, als sie diese Ruinen in den 1980ern fotografierte.
Das Werk der 1954 geborenen Künstlerin steht nun im Zentrum von zwei Ausstellungen im Wiener MuseumsQuartier, wo das neu gegründete „Foto Arsenal“ bis zum Bezug seines endgültigen Quartiers Schauräume bespielt. Das Thema der Amputation und der Prothese lässt sich als Bindfaden zwischen den Ausstellungen ausmachen, die mit äußerst intensiven Bildern konfrontieren – die „Triggerwarnung“ für sensible Gemüter ist durchaus gerechtfertigt (bis 19. 11.).
Schulze Eldowy, die in der DDR in eigenem Auftrag fotografierte, schaute stets dorthin, wo es schmerzte. In Geburtskliniken und auf Totgeburten nach der Tschernobyl-Katastrophe. In Schlachthöfe, aber auch auf absurde Maskenbälle. Eine der zentralen Serien ist der Frau mit dem Kosenamen Tamerlan gewidmet, die Schulze Eldowy 1979 kennen lernte und bis zu ihrem Tod begleitete – auch ihr mussten im Pflegeheim Gliedmaßen amputiert werden. In den Bildern der Fotografin verschwimmen körperliche Amputation oder die Tristesse zerstörter Häuser und Straßenzüge mit der Verkümmerung des Geistes, die sich in der zerbröselnden DDR breitmachte.
Die zweite Schau stimmt demgegenüber fast froh: Sie stellt die Japanerin Mari Katayama vor, die aus ihrer körperlichen Beeinträchtigung – ihr mussten im Alter von neun Jahren beide Unterschenkel sowie Teile der linken Hand amputiert werden – den Anstoß zur künstlerischen Erfindung ableitete. Mit selbst genähten Skulpturen und Prothesen-Objekten inszeniert sich Katayama in Fotos als vielgestaltiges Wesen, lässt die Grenzen zwischen Natur- und Kunstfigur verschwimmen und weist den Weg in Richtung Selbstbestimmung – auch unter extremen Bedingungen.
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