Ruth Schwarz, Physikerin der Zeit, nimmt alles sehr genau: „In den frühen Morgenstunden des 21. September 2007 verschüttete ich rund 200 ml Kaffee ...“ So beginnt „Das flüssige Land“, der hoch-gelobte Debütroman von Raphaela Edelbauer. Der Leser merkt schon bald, dass etwas nicht stimmt. Denn die Icherzählerin bricht ins Alpenvorland auf, um in Groß-Einland, der nicht existierenden Stadt ihrer Ahnen, die bei einem mysteriösem Verkehrsunfall gestorbenen Eltern beerdigen zu lassen.
Auf die mit drei Jahren veranschlagte Reise nimmt die schwer tablettensüchtige Wissenschafterin Xanor, Phenobarbital, Modafinil, Oxycodon, fünf Unterhosen, vier BHs und zehn Bücher mit – darunter vom Dadaisten Tristan Tzara und von Franz Kafkas Freund Max Brod.
Leider erst jetzt, am vierten Tag der äußerst kafkaesken Reise, setzt die Dramatisierung ein, die am Samstag ihre Uraufführung im Kasino des Burgtheaters erlebte: Sara Ostertag und ihre Ausstatterin Nanna Neudeck heben den Trip auf eine abstrakte Ebene. Um den Preis, dass der reale Schrecken verloren geht. Denn gleich drei Ruths – neben Ensemblemitglied Katharina Pichler auch Suse Lichtenberger und Ostertag-Mitstreiterin Michéle Rohrbach – erzählen die Geschichte. Und sie schlüpfen auch in die Rollen der Einheimischen. „Gehen Sie mir aus den Augen!“, sagt der Bürgermeister, der tatsächlich – ein etwas billiger Gag – ein Brett vor dem Kopf hat.
Es geht um die gerne verleugnete NS-Vergangenheit: Edelbauer spielt auf das Massaker von Rechnitz an, das zuvor Elfriede Jelinek in einem Stück verarbeitet hat. Und so gibt es eben ein ominöses Schloss und eine Fürstin. Das Problem von Groß-Einland ist das Bergwerk, in dem 750 Menschen auf dem Todesmarsch verschwanden. Die Stollen sacken in sich zusammen, die Häuser versinken in einem riesigen Loch.
Als Metapher für das verflüssigte Land dienen zwei mächtige Trampoline, auf denen die Performerinnen kunstvoll (besonders Rohrbach beeindruckt mit Artistik) durch die Luft wirbeln und insgesamt zu lang den Boden unter den Füßen verlieren. Auch Rainer Galke als dunkle Fürstin besteigt das Turngerät: Beim Herumhüpfen bläst sich sein Reifrock geradezu monströs auf. Ein gelungenes Bild. Für die nötige Erdung sorgt zwischendurch Paul Plut mit einem bizarren Saiten-Schlag-Instrument und rustikalen Liedern.
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