Eva Menasse: "Dunkelblum" ist Rechnitz, und Rechnitz ist Schweigen

Eva Menasse: "Dunkelblum" ist Rechnitz, und Rechnitz ist Schweigen
Im neuen Roman bringt ein Fremder aus Amerika Kisten für die Knochen der ermordeten Zwangsarbeiter

Es sieht wie eine Naturkatastrophe aus, die sich im Jahr 1989, Waldheim ist Präsident, in der Ortschaft Dunkelblum ankündigt. Zu Beginn stehen die Tore des verfallenen jüdischen Friedhofs plötzlich weit offen.

Denn Studenten aus Wien entfernen den Wildwuchs, machen Wege begehbar, stellen Grabsteine auf.

Bisher war der Friedhof bloß ein Hindernis, weil man ihn umfahren muss. Nun kommt die Erleuchtung: Der Friedhof hat ... Inhalt.

Holzkisten

„Wer zahlt das?“, fragen die Leute im Wirtshaus. Der Bürgermeister muss beruhigen: Es werde kein Steuergeld verwendet. (Hofft er halt.)

„Was soll das?“ fragt einer. Ein Student antwortet: Man brauche neuen Platz.

Wofür denn Platz???

Ein Fremder geht durch Dunkelblum.

Ein pensionierter Arzt aus Amerika. Jude. In Dunkelblum, ausgerechnet hier, war er von zwei Frauen versteckt und gerettet worden.

Er hat kleine Holzkisten mit. Für die Knochen. Er will die Leichen der ermordeten ungarischen Juden finden. Er will sie würdig beerdigen.

Alte Dunkelblumer stehen am Fenster und schicken ihm Ängste, Sorgen, Aggressionen hinterher. Er geht zusehends schwerer.

Dunkelblum ist Rechnitz im Burgenland.

In höchstem Maße meint Eva Menasse Rechnitz, wo im März 1945 nach einem Fest im Schloss betrunkene SS-ler Zwangsarbeiter erschossen haben, die zu schwach und zu krank waren, den absurden Wall gegen die Rote Armee zu bauen.

Bis heute wurde das Massengrab nicht entdeckt.

Dunkelblum könnte dementsprechend „Schweigen“ heißen, wie im genialen Roman „Die Wolfshaut“ (1960) von Hans Lebert.

Verbeugung

Auch in Schweigen wird dafür gesorgt, dass Verbrechen an Zwangsarbeitern ungesühnt bleiben. Lebert lässt es 100 Tage regnen. Wenn es Eva Menasse ebenfalls regnen lässt, sodass auch Dunkelblum zur Mure werden könnte, man steckt im Dreck fest ... wenn Menasse ihr Donnerwetter macht, kann man das als Verbeugung vor Lebert sehen.

Zumal ein Satz aus der „Wolfshaut“ ein Kapitel von „Dunkelblum“ eröffnet:

„An das Sterben ist man hierorts gewöhnt, jedenfalls eher als an das Denken.“

Eva Menasse ist ein unaufdringlicher dichter Roman gelungen, der das Schweigen tosen lässt. Man kann sich nicht entziehen. Sie stellt Leute vor, die auch mit den nächsten Hilfsbedürftigen nichts anfangen können: Bürger der DDR flüchten über Ungarn.

Es ist ein Roman, der kein Ende hat, weil die Gräbersuche kein Ende hat.

Der kein Ende hat, weil es immer jemanden gibt, der nichts verstanden hat wie jene Hausmeisterin (Eva Menasse hat die Geschichte in einer alten Zeitung gefunden):

Ein Mann kommt zurück. Die Hausmeisterin sagt zu ihm: „Na, Sie sind wieder da? Und wir haben geglaubt, Sie sind verbrannt worden.“


Eva Menasse: „Dunkelblum“
Kiepenheuer & Witsch.
528 Seiten.
25,95 Euro .

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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