Das Comeback von Philip K. Dick

Mr. Blade Runner privat: Philip K. Dick und seine fünfte Ehefra Tessa
Dick is back: Der Autor und Visionär, der die Vorlage für den „Blade Runner“ schuf, ist vor 35 Jahren gestorben. Jetzt wird er wiederentdeckt.

Los Angeles, November 2019.

Das Comeback von Philip K. Dick
Blade Runner 2049
Vor 35 Jahren klang das noch nach echter Zukunftsmusik. Damals, 1982, kam „Blade Runner“ ins Kino. Harrison Ford jagte im Dauerregen in einer düsteren Megacity untergetauchte menschenähnliche Roboter. Eine Story, so atemberaubend, wie man sie nie zuvor gesehen hatte. Verfilmt hat sie der Brite Ridley Scott drei Jahre nach seinem fulminanten Hollywood-Einstieg „Alien“. Die Vorlage für „Blade Runner“ stammte von Philip K. Dick, dem mysteriösen Meister des futuristischen Pessimismus. Doch der bekam nur mehr die Rohfassung zur Ansicht. Der Autor starb wenige Monate vor Uraufführung des Science-Fiction-Epos, gerade 53-jährig, am 2. März 1982 an einem Schlaganfall.

Und heute? Heute steht das damals noch so ferne Jahr 2019 unmittelbar bevor – ebenso wie die Fortsetzung des damaligen Science-Fiction-Hits. Der Kinostart von „Blade Runner 2049“ ist für diesen Oktober geplant. Erneut mit Harrison Ford in der Rolle des titelgebenden Blade Runners Rick Deckard. Und mit Ryan Gosling als kafkaesken Officer K.

Blade Runner 2049

Philip K. Dick hätte das sicher gerne miterlebt. Ebenso die späte Anerkennung für sein Werk. Insgesamt über 120 Kurzgeschichten hat er hinterlassen. Und mehr als vierzig Romane. Bekannte wie „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ – „Blade Runner“ basiert darauf – und verkannte wie „Das Orakel vom Berge“, das als „The Man In The High Castle“ gerade auf Amazon Prime für Furore sorgt. Bei „Blade Runner 2049“ ist wieder Ridley Scott, immerhin bereits 79 Jahre alt, mit an Bord sowie die mittlerweile erwachsenen Kinder von Philip K. Dick: die Töchter Isa Hackett und Laura Leslie sowie Sohn Christopher.

Allesamt zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, haben sie sich nun schon ihr halbes Leben der Aufgabe verschrieben, ihrem Vater zu jener Bedeutung zu verhelfen, die er verdient. Operation gelungen. Ihre sinnigerweise „Electric Shepherd“ (dt. „Der elektrische Schäfer“) genannte Produktionsfirma hat bereits dem autobiografischen Roman „A Scanner Darkly“ zur Leinwandpräsenz verholfen.

Dick ist aktueller denn je

Auch bei der TV-Verfilmung des schon 1962 erschienenen Romans „The Man in the High Castle“ haben sie ihre Hände im Spiel. Von dieser dunklen alternativen Weltgeschichte, in der die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg als Verlierer dastehen, und Nazi-Deutschland und Japan die Vereinigten Staaten unter sich aufteilen, wird bereits die dritte Staffel produziert. Ein Erfolg, den sich der Autor dieses irren Szenarios selbst in seinen wildesten Träumen nicht auszumalen gewagt hätte. Dabei hat der posthume Philip-K.-Dick-Boom gerade erst so richtig angefangen. Als Nächstes sollen die Romane „Ubik“, „The Crawlers“/„Die Kriecher““ und „Now Wait for Last Year“/„Warte auf das letzte Jahr“ verfilmt werden.

Das Comeback von Philip K. Dick
Mit der Darstellung von Bösewichten hat der Sohn eines Filmproduzenten und einer Film- & Radio-Sprecherin aber auch genügend Erfahrung. Als zwielichtiger Kerl wurde er schon immer gerne gecastet.
Bild: "Total Recall"

Das ist aber noch nicht alles. Channel 4 und Sony produzieren gemeinsam eine zehnteilige Serie mit dem Titel „Electric Dreams: The World of Philip K. Dick“. Dafür sollen die besten seiner zahlreichen Kurzgeschichten verfilmt werden. Mit Bryan Cranston („Breaking Bad“) wurde dafür auch ein Star und Emmy-Gewinner unter Vertrag genommen.

Mr. Paperback Writer

Und warum das Ganze ausgerechnet jetzt? Die Ironie der Geschichte ist, dass Dick seiner Zeit so weit voraus war, dass seine ständig wiederkehrenden Themen uns offenbar erst seit Kurzem so richtig unter die Haut gehen: Überwachung, Verfolgung, Paranoia, Macht, Kontrolle, die Grenzen der Realität und die Fragen nach Parallelwelten oder der echten Identität in einer künstlichen Welt.

Vor zehn Jahren wurde Philip K. Dick als erster Science-Fiction-Autor überhaupt in die „Library of America“ aufgenommen. Namen wie Mark Twain, F. Scott Fitzgerald und John Updike finden sich darin, sowie – seit 2016 – die 87-jährige Großmeisterin der Science Fiction, Ursula K. La Guin („Winterplanet“). Interessant dabei: Ursula K. und Philip K. liefen einander vielleicht sogar über den Weg.

1947 besuchten beide die Berkeley High School. „Aber da waren über 3.000 Schüler“, erklärt die Autorin entschuldigend, warum sie ihn nie kennenlernte. „Sein Name tauchte zwar im Jahrbuch auf, aber es gab kein Foto dazu – das passte zu ihm.“ Dabei hätten einander die zwei sicher viel zu erzählen gehabt.

Im Vorjahr erwähnte Tessa B. Dick, seine fünfte und letzte Ehefrau, dass ihr ständig schreibender Ehemann für die Beatles die Inspiration für den Song "Paperback Writer" war. Für John Lennon war er der „Paperback Writer“. Aber wer war Philip K. Dick wirklich?

Mystery Man

"Sieben erdähnliche Planeten entdeckt“; „Fremde Arten weiter auf dem Vormarsch“; Oder: „Emirate wollen Siedlung auf dem Mars bauen“. Die einschlägigen Schlagzeilen der letzten Tage hätten Philip K. Dick gut gefallen. Sehr gut sogar. Denn für Mysteriöses war der Mann immer zu haben.

Geboren in Chicago am 16. Dezember 1928, bekam er die Härten des Lebens von Anfang an zu spüren. Seine Eltern hatten zwar beide sichere Jobs im Staatsdienst, seine Zwillingsschwester starb dennoch wenige Wochen nach der Geburt an Unterernährung. Das Thema eines „Phantomzwillings“ sollte später wiederholt in einigen Texten auftauchen.

Ab 1939 lebte Philip mit seiner Mutter in Kalifornien, sein Vater hatte sich da schon von der Familie getrennt. Als Teenager schrieb er Gedichte und holprige Kurzgeschichten, das Übliche halt. Nach dem Abschluss der High School 1948 heiratete er. Die Ehe hielt aber nur sechs Monate. Dann angelte sich Philip die Traumjobs der Fifties: Verkäufer in einem Plattengeschäft und Radiomoderator (für klassische Musik).

Der Workaholic

Das Comeback von Philip K. Dick
Die alternative Geschichte ist auch fiktional. Großbritannien wird nach dem Kalten Krieg zur Weltmacht. Eines der Themen von "Der Mann in dem hohen Schloss" ist das Konzept der multiplen Realitäten. Der Drehpunkt am Ende offenbart, dass die Charaktere womöglich eine Lüge leben, und die echte Welt in Abendsens Buch liegen könnte. In Wirklichkeit reist zumindest einer von ihnen in diese Realität. Bild: Philip K. Dick
Er war ein Workaholic, wie er im Buche steht. Tessa B. Dick erinnert sich: „Phil war immer am Schreiben. Außer, wenn er übers Schreiben redete.“ Aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen. 1968 beschrieb er sich so: „Philip K. Dick lebt momentan in San Rafael und interessiert sich für Halluzinogene und Schnupftabak. Verheiratet, hat zwei Töchter und eine junge, nervöse Frau, die sich vor dem Telefon fürchtet. Verbringt die meiste Zeit damit, erst Scarlatti zu hören, dann Jefferson Airplane, dann Götterdämmerung, um irgendwie bei allen dreien Gemeinsamkeiten zu entdecken, hat viele Phobien und verlässt selten das Haus. Schuldet seinen Gläubigern ein Vermögen, das er nicht hat. Warnung: Leihen Sie ihm kein Geld. Er wird es Ihnen zusammen mit Ihren Tabletten klauen.“
Klingt fast furchterregend. Kennen Sie ihn immer noch nicht? Dann jetzt. Tessa, von 1973 bis 1977 seine fünfte und letzte Ehefrau, erwähnte in einem Interview, dass John Lennon ihren Mann einmal angerufen und erwähnt habe, die Beatles hätten den Song „Paperback Writer“ ihm zu Ehren geschrieben. Auch eine frühere Nachbarin trug zur Spurensuche nach dem wahren Ich des Erschaffers surrealer Welten bei. Fantasy-Autorin Maer Wilson schildert in „The Other Side of Philip K. Dick“ (2016), wie sie jenen Mann erlebte, der posthum als Acid-süchtiger Eremit zur Legende wurde: „Ich lernte ihn als warmherzigen und witzigen Mann kennen. Seltsam ist, dass er nun so viel mehr Menschen etwas bedeutet als zu seinen Lebzeiten.

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