"Das Berühmtwerden. Lächerlich"

Posthum erschien noch ein Band mit Tagebuch-Aufzeichnungen des Literatur-Nobelpreisträgers Imre Kertész.

Nicht erschienen ist sein Roman über den Weg ins Nichts – nur beschreibend, nicht philosophierend, so war er geplant gewesen.

Von diesem Text existieren nur ein paar Seiten, mehr hat Imre Kertész, heuer im März 86-jährig gestorben, nicht geschafft.

Erschienen sind jetzt posthum unter dem Titel "Der Betrachter" seine literarisch aufbereiteten Aufzeichnungen 1991–2001; sie liegen zwischen dem "Galeerentagebuch" und "Ich – ein anderer" ab den 1960er-Jahren einerseits und andererseits dem Leben im Vorzimmer des Todes ("Letzte Einkehr") bis zum Jahr 2009.

"Der Betrachter" betrachtet sich selbst – mit Gewinn für die Außenstehenden.

In die Zeit der "Tagebücher" fällt der Tod seiner Frau Albina nach 42 Ehejahren ... und die späte, unverhoffte internationale Anerkennung nach der Wende 1989.

Kertesz – Überlebender von Auschwitz und Buchenwald, der darüber im berühmten "Roman eines Schicksallosen" geschrieben hat – notiert seine Freude und Verwunderung:

Ausgerechnet aus Deutschland bekomme er besonders viel Liebe, "wo man mich ermorden wollte ..."

Der Literatur-Nobelpreis (2002) war noch fern, trotzdem fürchtete der ungarische Schriftsteller bereits, durch Erfolge und damit verbundene Verpflichtungen seine Freunde zu vernachlässigen, Namen zu vergessen und "zum Betrieb" zu werden:

"Das Berühmtwerden. Lächerlich."

Er rede im Fernsehen, er rede im Radio ... "Überall, bei jeder Gelegenheit und zu jedem sage ich das Gleiche."

Wahrhaftig

Ein Blättern in "Der Betrachter" sei gestattet. Danach weiß man besser, ob (nein, DASS) man das ganze Buch studieren will.

1991:

"Rechtzeitig sterben – aber bis zum Äußersten leben: das ist das Gebet. Sei deiner selbst würdig."

1992:

"Mein ständiges Gefühl, dass alles binnen Sekunden umschlägt und die Menschen anfangen, einander brüllend umzubringen. Eine brutale Welt, in der sich durch Brutalität dumpf, düster und trübsinnig gewordene Menschen herumtreiben."

1995:

",Nazi‘, das ist keine Ideologie, sondern eine Lebensform."

1998:

"Wer wahrhaftig ist, ist verloren. Wer verloren ist, ist wahrhaftig. Wer verloren geht, gewinnt. Gehe triumphal und elendiglich verloren. Einen anderen Weg gibt es nicht."

Imre Kertész: „Der Betrachter“
Übersetzt von
Heike Flemming und Lacy Kornitzer.
Rowohlt.
253 Seiten. 20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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