Ein Panoptikum der Pandemie? Bloß Facetten bar jeder Reflexion

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Im Simpl wäre die Revue ungleich besser aufgehoben gewesen: Daniel Kehlmanns "Ostern" enttäuscht in den Kammerspielen.

Am Freitag begann die Saison im Burgtheater mit den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus, einem Szenenreigen über den Ersten Weltkrieg. Tags darauf folgte in den Kammerspielen der Josefstadt die Uraufführung des Szenenreigens „Ostern“, deren Tragödie „Erster Teil“ mit „Letzte Tage“ überschrieben ist.

Daniel Kehlmann knüpft also, erstaunlich selbstbewusst, an Karl Kraus an – wie an Johann Wolfgang von Goethe: In Teil zwei (nach der Pause) befindet ein charakterlich mieser Schauspieler, dass er mit den „Wahlverwandtschaften“ nicht viel anfangen könne. Zu wenig Sex. Aber den Faust, der sich mit dem Teufel einlässt, würde er schon gerne verkörpern wollen. Und so zitiert er mit großer, hohler Geste den „Osterspaziergang“.

Mit Ostern verbindet Kehlmann aber auch den Lockdown des Jahres 2020 und ein Statement von Sebastian Kurz, das schon damals hochgradig absurd erschien: Der Kanzler, der die Pandemie als „teuflisch“ bezeichnet hatte, stellte den Österreichern eine „Wiederauferstehung“ nach den Feiertagen in Aussicht, wenn sie sich an die Regeln hielten. Teil zwei seines „Panoptikums“ (so steht es hochtrabend im Programmheft, es handelt sich aber nur um ein paar Facetten) über den Umgang der Regierung mit dem Virus und den Menschen, die sich plötzlich als willige Vollstrecker oder Denunzianten aufspielen, hat Kehlmann daher „Auferstehung“ getauft.

Das klingt alles germanistisch durchdacht, geradezu genialisch. Aber das Gegenteil ist der Fall, wie Regisseurin Stephanie Mohr mit ihrer brav exekutierten Uraufführungsinszenierung unter Beweis stellte: Das „Pandemiestück“ ist (bis zur Pause) eine Revue, die im Simpl auf einem ganz anderen, weit unterhaltsameren Niveau dargebracht würde, verbrämt als bloß behauptete Reflexion über den ganzen Wahnsinn.

Niedergeschrieben hat Kehlmann die Sketche quasi in Realzeit ab dem März 2020 – ähnlich wie Kraus mehr als ein Jahrhundert zuvor seine Szenen. Dann schickte er sie Herbert Föttinger, der sich damals als polternder Revoluzzer gerierte. „Das machen wir“, soll der Direktor der Josefstadt gesagt haben. Aber nicht gleich. Es brauche Distanz. Doch Föttinger läuft die Zeit davon (sein Vertrag endet im Sommer 2026). Und so ist es nichts geworden aus der Distanz: Zu gut können wir uns an die (ne)hammerartigen Verordnungen und die FFP2-Masken, die Corona-Ampel, den Babyelefanten und Omikron-Varianten erinnern.

Kehlmann dürfte selbst erkannt haben, dass seine Sketche nicht in die Zeit passen. Er lässt daher nach der ersten Kleinbürger-Szene einen „Brief“ ans Publikum verlesen. Eben über die Entstehungsgeschichte. Samt dem Hinweis, dass der zweite Teil von ihm neu geschrieben wurde. Das klang fast wie eine Entschuldigung. Und sollte wohl hoffen lassen. Aber mehr als eine ermattende Schmalspurvariante von „Geschlossene Gesellschaft“ schaffte er nicht: Raphael von Bargen kämpft in Hotel-Quarantäne verzweifelt gegen die Tücken der Technik und die Geister, die er nicht rief.

Nicht nur er müht sich mit Spielfreude ab: Robert Joseph Bartl, gebürtiger Bayer, kann Markus Söder. Exzellent sogar. Und Julian Valerio Rehrl darf in kurzer Radlerhose zum Slimfit-Sakko Sebastian Kurz der Lächerlichkeit preisgeben. Alexandra Krismer verfolgt als Frau Elwig mit Adleraugen die unerlaubten Ausgänge der Nachbarin, um später, im TV-Studio, größtmöglichen Unsinn zu verzapfen. Katharina Klar berührt als gekündigte Journalistin, die noch schnell bei einem eitlen Schriftsteller namens Klaus-Werner Wencken-Henrichs (der Name ist Programm) über Zoom Lesetipps einholen muss.

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Ulrich Reinthallers alter Mann will bloß auf der Bank sitzen und Ludwig Thomas lesen. Ist auch verboten.

Ulrich Reinthaller und sie bestreiten auch eine ganz amüsante Szene, in der ein niederösterreichischer Polizist eine Frau über die Landesgrenze zurück nach Wien schickt, weil sie nicht hauptgemeldet ist. Das Highlight des insgesamt bitter enttäuschenden Abends ist ein ähnlich gelagerter Schlagabtausch. Ein Polizist, dieses Mal Bartl, will einem alten Mann verbieten, mutterseelenallein auf einer Parkbank Ludwig Thoma zu lesen. Diese fünfminütige Konversation war tatsächlich hoch vergnüglich.

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