Crossover: Neuer Hype um ein geschmähtes Genre
Die Orchester- und Opernmanager suchen immer noch nach jener zündenden Idee, mit der man junge Menschen dauerhaft für klassische Musik begeistern kann.
Aber es ist längst überhaupt keine Frage mehr, ob sich junges Publikum für klassische Musiker begeistern kann: Es kann, und das vielleicht mehr denn je.
Der Beweis?
Eine Milliarde Klicks.
So viele Zugriffe werden nämlich demnächst die Piano Guys in ihrem YouTube-Kanal verzeichnet haben.
Wer jetzt leicht alarmiert ist, hat Recht: Ja, die spielen Crossover. Aber die Zeiten, als man dieses viel geschmähte Genre links liegen lassen konnte, dürften nun endgültig vorbei sein.
Das Publikum hat entschieden, und es will Crossover, Popsongs auf klassischen Instrumenten, oder Klassikhits mit Lasershow. Rockkonzertstimmung mit Streichern. Die Piano Guys sind nur eines von zahlreichen Projekten, die derzeit höchst erfolgreich auf die Verbindung von Virtuosität auf klassischen Instrumenten, Popmelodien und unverkrampftem Image setzen.
"2 Cellos" spielen AC/DC, Michael Jackson und Nirvana (300 Millionen Zugriffe).
Cameron Carpenter ist sowohl virtuoser Bach-Organist als auch Irokesenschnitt und Unterleiberl tragender Popstar, der u.a. bei "TV Total" auftrat.
Aber auch etablierte klassische Musiker überschreiten, zunehmend ohne die einstige Scheu, die musikalischen Grenzen: The Philharmonics – mit Musikern der Berliner und Wiener Philharmoniker – spielen Walzer, Klezmer, Gypsie und auch Stings "English Man in New York".
Pecoraro & Pecoraro – Kammersänger Herwig Pecoraro und sein Sohn Mario – geben Pop mit großem Orchester.
Matthias Bartolomey (Cello) und Klemens Bittmann (Geige, Viola, Mandola) wiederum bieten progressiven Streicher-Rock.
Die neue Lust am Grenzüberschreiten steht in einer langen Tradition. Aber etwas ist anders für die heutigen Erben von so unterschiedlichen Größen wie Nigel Kennedy, David Garrett und Apocalyptica: Sie sind nicht mehr misstrauisch beäugter Randbereich eines seriösen Business, sondern ein Publikumshit, der, man mag es bewerten wie man will, der Klassik im Publikumszuspruch mehr als ebenbürtig ist. Zumindest dort, wo ein zunehmender Teil des Kulturleben stattfindet: Online.
Neue Fragen
Dort stellen sich nämlich für die Hochkultur wieder neue Fragen. Hier geht es um den kurzfristigen Unterhaltungsfaktor: Die verfeinertste Klassik ist nur einen Click von "Smooth Criminal" auf zwei Celli entfernt. Und die fahren ordentlich ab.
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