Cornelia Travnicek: Nachdenken über Familie

Cornelia Travnicek stellt „Junge Hunde“ am Mittwoch, 21. Oktober, in der Buchhandlung Hartliebs Bücher vor (Wien-Alsergrund, Porzellangasse 36). Beginn: 19.30 Uhr
Die Niederösterreicherin verstört mit dem Roman "Junge Hunde"

Das ist mein Vater. Oder ist das gar nicht mein Vater? Aber dann ist das auch nicht mein Bruder. Sondern mein Halbbruder.

Ein Wort bestimmt über einen Menschen.

"Die Sprache, dieses Arschloch", schreibt Cornelia Travnicek deshalb in ihrem zweiten Roman "Junge Hunde".

(Im ersten, "Chucks", hat sie das Leben so erklärt: "Es liegt alles an der Konzentration." Das heißt, jeder muss lernen, wie viele Teile er wovon braucht, um sich "ganz" zu fühlen. "Chucks" wurde verfilmt und ist in den Kinos.)

Die gebürtige St. Pöltnerin hatte 2012 beim Bachmann-Preis ein Kapitel "Junge Hunde" vorgelesen. Mehr Text war noch gar nicht geschrieben gewesen. Cornelia Travnicek bekam viel Lob – und den Publikumspreis.

Der Juryvorsitzende hatte damals gematschkert: Es störe ihn, dass er von der Geschichte nicht beunruhigt worden sein – Literatur habe seiner Meinung nach nur die Aufgabe zu verstören.

Damals blieb die 25-Jährige lieber ruhig.

Heute stellt sie fest:

"Literatur soll grundsätzlich einen Resonanzraum aufmachen. Das Schlimmste wäre, wenn man einen Text liest und rein gar nichts passiert. Der Begriff ,verstören‘ ist mir in dieser Hinsicht zu einseitig."

Ende der Kindheit

Ja, beim Lesen des nun fertigen Romans "passiert" etwas.

Die ersten Seiten vielleicht noch nicht. Denn er ist unspektakulär, schön langsam ist er und wird langsam schön.

Im Ganzen gesehen erzählt das Buch ja nicht "nur", wie der Vater oder Doch-Nicht-Vater wegen Demenz ins Heim kommt und im Wohnzimmer ein toter Beagle zurückbleibt (= das Ende der Kindheit).

Sondern es erzählt von Familie.

Von verstörender Familie.

"Ich persönlich", sagt Cornelia Travnicek im KURIER-Gespräch, "glaube, dass wir uns derzeit eher auf ein Familienverständnis frei nach Walt Disneys "Lilo & Stitch" verständigen ..."

Ein Waisenkind auf Hawaii und ein blauer Außerirdischer, der sich als Hündchen tarnt, können durchaus eine Familie bilden.

Familie: Das Wort soll nicht über die Menschen bestimmen.

"Es ist ein erweiterter Familienbegriff, der auf freiwilligen Zusammenhalt und freundschaftliche Verbindungen aufbaut. Somit wird er den Lebensrealitäten vieler Menschen besser gerecht."

Cornelia Travnicek hat mittlerweile ihr Sinologie-Studium beendet. Zur "Chinakunde" gehört auch das Wissen: Hatte man früher mehrere Söhne, so "verschenkte" man mitunter einen Sohn an dessen Onkel, falls er keinen hatte. So konnte auch diese Linie der Familie weitergeführt werden.

Wurzelbehandlung

Vielleicht sollte man jetzt einige Zeilen darüber verlieren, was direkt in "Junge Hunde" steht (und nicht in den vielen Zwischenräumen).

Johanna und Ernst sind gute Freunde und um die 20. Ernst stammt aus China, er wurde als Baby adoptiert, liebe Eltern hat er bekommen, und es duftet immer nach Kuchen zu Hause in Österreich.

Trotzdem unterzieht er sich einer "Wurzelbehandlung". Er sucht in China seine leibliche Mutter. Ernst will wissen, ob sie ihn liebt.

Johannas Mutter ist nach Peru abgepascht. Sie kümmert sich dort lieber um Waisenkinder. Wenn sie mit Johanna über Skype telefoniert, fragt sie, wie es dem Hund geht.

Sie fragt nicht, wie es Johanna geht.

Cornelia Travnicek: Nachdenken über Familie
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Der Vater ist soeben ins Pflegeheim gekommen, beim Entrümpeln findet Johanna eine Postkarte, aus der hervorgeht: Der Vater ist nicht der "richtige" Vater.

Mutter verweigert am Telefon die Aussage.

Johanna kümmert sich um einen alten Mann, Johanna kümmert sich um ihre alleinerziehende Nachbarin und das Mädchen ... und wir sind wieder bei den Zwischenräumen im Roman angelangt, in denen über "die Familie" nachgedacht wird.

Und dann denkt man auch gleich über den Satz nach: "Ich muss komplett bei mir selbst sein, weil sonst niemand bei mir ist."

Die 28-jährige Schriftstellerin scheint mehr Durchblick zu haben als viele Alte.

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