Die Journalistin Clara Akinyosoye ist seit 2014 beim ORF, zuletzt war sie multimedial als Redakteurin in der Religions- und Ethikabteilung tätig und gestaltete etwa die TV-Doku „Sündige Kirche“. Nun leitet sie die ORF-Minderheitenredaktion und ist Sendungsverantwortliche von „Heimat fremde Heimat“.
KURIER: Die Minderheitenredaktion und „Heimat, fremde Heimat“ gibt es genauso lange, wie Sie auf der Welt sind, fast 36 Jahre. Sind Sie angetreten, um frischen Wind reinzubringen?
Clara Akinyosoye: Ja. Es war eine wichtige Entscheidung, dass der ORF 1988 eine Sendung gegründet hat mit dem Ziel, der Gastarbeiter-Generation etwas zu bieten. Mittlerweile haben wir eine Enkelgeneration, wir haben Menschen mit anderem Migrationshintergrund als damals. Dadurch ergeben sich andere Themen. Die Gesellschaft hat sich verändert, und deshalb muss sich auch so eine Sendung verändern.
Welche Pläne haben Sie?
Mir ist wichtig, dass unsere Inhalte noch näher an den Lebensrealitäten der Menschen sind. Wir wollen uns mit Themen beschäftigen, die den Leuten im Alltag in einer multiethnischen Gesellschaft begegnen, und zwar Menschen mit Migrationshintergrund und ohne. Ich glaube, dass es in Österreich wenige Menschen gibt, die keine Berührungspunkte mit Multikulturalität haben. Wenn ich zum Beispiel selbst keinen Migrationshintergrund habe, habe ich vielleicht aber ein Kind, das in eine öffentliche Schule geht.
Natürlich müssen wir uns auch überlegen, wie wir junge Menschen erreichen, Stichwort digitale Mediennutzung.
Sie haben 2014 mit „Fresh“ das erste Lifestyle-Magazin für schwarze Menschen in Österreich mitbegründet – kann man über leichtere Themen besser ein verständnisvolles Miteinander erreichen?
Ja, das funktioniert schon. Ich erinnere mich, in der ersten Ausgabe habe ich eine Reportage über Heavy Metal in Botswana gehabt. Da sind dann Leute auf mich zugekommen und haben mir gesagt, das habe ihren Horizont so dermaßen gesprengt: „Ich hab mir nie vorstellen können, dass Afrikaner Heavy Metal machen“. So einfach kann man das Klischee vom trommelnden Afrikaner brechen. Ja, natürlich auf diesem Kontinent gibt es alles, da gibt es Klassik, Rock, Pop und auch Heavy Metal. Das hab ich sehr bezeichnend und schön gefunden.
Wie sieht es aus mit Diversität in österreichischen Medien, auch dem ORF?
Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Thema. Natürlich hat es Fortschritte gegeben. Aber es gibt immer noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie wirklich ist. Wenn wir uns vor Augen halten, dass 25 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund haben – und dabei beinhaltet die Definition dafür in Österreich nur Menschen, deren beide Eltern im Ausland geboren sind. Wenn man nur ein Elternteil hat, das im Ausland geboren ist, fällt man nicht darunter oder wenn nur die Großeltern aus der Türkei gekommen sind – aber die Themen Zugehörigkeit und Diskriminierung betreffen einen womöglich trotzdem. Die Gruppe der Betroffenen ist größer als 25 Prozent. Das müssen wir in den Programmen abbilden.
Liegt es an mangelnder Diversität, dass oft nur mehr emotionale Debatten geführt werden ohne faktischen Hintergrund?
Es gilt für alle Themen: Je mehr Perspektiven man auf ein Thema wirft, umso besser kann man es umfassen. Zum Beispiel Klimaschutz, soll man sein Auto stehen lassen? Wenn ich in Wien lebe, mit der nächsten U-Bahn in Drei-Minuten-Fußweg, kann ich das leicht mit Ja beantworten. Wenn ich am Land lebe, wo ich 45 Minuten zu Fuß gehen muss zur Busstation, werde ich mich über diese Forderung wundern und ärgern. Genauso ist es mit der multiethnischen Gesellschaft. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Das heißt nicht, dass ein Journalist mit Migrationshintergrund nur das eine machen kann und einer ohne nur das andere. Es geht ums Einfühlen, um das Wissen, dass es andere Perspektiven als die eigene gibt.
Ich durchquere auf dem Weg von meinem Wohnort zu meinem Arbeitsort viele Bezirke. Da komme ich in Teile Wiens, die extrem mehrsprachig sind, mit vielen Hautfarben, und dann gibt es Gegenden, in denen das nicht so ist. Je nachdem, wo ich mich aufhalte, prägt das mein Gefühl davon, wie Wien aussieht. Wir brauchen das Bewusstsein, dass das eben nur ein Ausschnitt ist.
Zuletzt haben Frauenmorde wieder eine Diskussion über importierten Frauenhass ausgelöst. Was kann Ihre Sendung da leisten?
Wir müssen uns genau anschauen: Was sind die Fakten, was sind die Hintergründe. Es ist generell schwieriger geworden, sich mit den Faktoren, die zu Kriminalität führen, zu beschäftigen, ohne verdächtigt zu werden, etwas rechtfertigen zu wollen. Aber das ist die Aufgabe von Medien: Zu fragen, wie kommt es zu so etwas, und auch zu fragen, ob es diese Probleme in gewissen Milieus stärker gibt als in anderen. Wir müssen diesen Themen auf den Grund gehen, ohne Pauschalurteile zu fällen und ohne zu verharmlosen. Es ist klar: Wenn Frauen ermordet werden, machen sich viele Sorgen und Gedanken. Darüber diskutieren Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Unter den Opfern waren zuletzt auch wieder Migrantinnen.
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