Kolonovits zum Wiener Musical: "Subventionsorgie" im Familienbetrieb

Christian Kolonovits
Der Komponist des "Vivaldi"-Erfolgs der Volksoper über flache Bücher, Running Gags und tolle Popmusik.

Auch mit dem heutigen Oktober-Ende ist eine wichtige Entscheidung noch offen, die schon längst hätte fallen sollen: Wer künftig bei den Vereinigten Bühnen Wien (VBW) die Sparten Oper (im Theater an der Wien) und Musical (im Ronacher und im Raimund Theater) leiten soll.

Ausgezeichnetes Musical gibt es in Wien längst auch abseits der VBW: Christian Kolonovits wurde für "Vivaldi, die fünfte Jahreszeit" (ab 8. November auf CD und DVD) als bester Komponist und für das beste Arrangement beim Deutschen Musicalpreis ausgezeichnet. "Eine Zeit lang war Österreich im Musicalbereich Deutschland weit überlegen", sagt Kolonovits nun im KURIER-Interview. Peter Weck habe in den 80ern "mit Produktionen wie "Cats" oder "Phantom der Oper" in Wien einen unglaublichen Musicalboom ausgelöst.

"Ich selber habe mit Kathrin Zechner an innovativen Produktionen wie ,Die Weberischen‘ und ,Woyzeck‘ gearbeitet." Zuletzt aber, sagt Kolonovits, "wurden die Inhalte flacher. Man investiert mehr in Revuen. Das traditionelle Musical ging an die Volksoper."

KURIER: Etwa die nun ausgezeichnete Vivaldi-Produktion.

Christian Kolonovits: Direktor Robert Meyer hat uns, Librettistin Angelika Messner und mir, die Möglichkeit gegeben, einen Stoff zu entwickeln, mit neuen Formen zu experimentieren und eigentlich ein neues Genre zu schaffen, nämlich die BaRock-Oper, die sowohl Rock- als auch Barockelemente beinhaltet. Mit Rockmusik bin ich aufgewachsen, Barockmusik ist eine große Liebe geworden. An den beiden Komponenten Rock und Barock konnte ich mich "entlanghanteln", sodass etwas ganz Unverwechselbares und Eigenes entstanden ist, das das Publikum fordert.

Ist es ein Problem, dass das Publikum beim Musical unterschätzt wird?

Qualität ist immer ein Kriterium, und das Publikum zu unterschätzen, kann ins Auge gehen. Voraussetzung für ein erfolgreiches Stück ist ein inhaltlich gut gebautes Buch und eine Musik, die die Inhalte sinnlich übersetzt und emotional überhöht. Dabei sollte man dem Publikum die Chance geben, sich überraschen zu lassen. Wenn ich, wie bei "I am from Austria", das Ende des Stückes schon nach der zweiten Szene voraussehen kann, hat man es sich zu leicht gemacht. Danke an Rainhard Fendrich, der das Publikum mit seinen immer wieder genialen Songs so herrlich versöhnt.

Eine versäumte Chance?

Die Macher von ABBA haben diese Form von Musical-Collage erfunden. Trotzdem lebt dieses ABBA-Phänomen nicht nur von den fantastischen Songs, sondern vor allem auch von einem gescheiten und witzigen Buch. Diese Chance empfinde ich persönlich beim Fendrich-Musical als zu wenig genützt.

Woran liegt’s?

Ich weiß es nicht. Wenn eine große Wiener Musicalbühne zu einem Familienbetrieb verkommt, weil der Papa das Buch schreibt, die Mama Regie führt und der obligate nackte Männerarsch vor der Pause zum einzigen "running gag" wird (das hatten wir, glaub’ ich, schon in den Siebzigern), dann hat man es sich vielleicht doch ein bisschen zu leicht gemacht. Für die große Subventionsorgie, die hier ausgeschüttet wird, könnte man ein bisschen innovativer sein.

Gibt es nach "Vivaldi" und "Antonia und der Reißteufel" ein neues Volksopern-Projekt?

Es gibt Gespräche, ein drittes anzugehen. Vielleicht schaffen wir das. Eine Volksopern-Trilogie wäre schön! In Berlin arbeite ich gerade an dem Scorpions-Musical "Wind Of Change", das 2019 starten soll. Die Lieder der Scorpions, verarbeitet in einer Geschichte um den Mauerfall.

Alle reden vom Hürdenabbauen für Kinder, für Menschen, die mit klassischer Musik nichts am Hut haben. Passiert genug?

In diesem Bereich kann nie genug passieren. Mit "Antonia und der Reißteufel" hatten wir genau eines vor: Den Kids eine hochwertige Oper zu präsentieren. Der schlimmste Fehler, den man begehen kann, ist, zu glauben, dass man Kindern kein Niveau bieten muss. Im Gegenteil! Kinder sind die schärfsten Kritiker. Sie lassen dich sofort wissen, wenn es ihnen nicht gefällt.

Viele Pop-Produktionen sind ja aufwendiger als die größten Musiktheater-Aufführungen.

Absolut! Es gibt Pop-Shows, die alle Dimensionen einer konventionellen Opernaufführung sprengen. Auch in Österreich hat sich wieder eine selbstbewusste, eigenständige Popkultur entwickelt, die sich international messen kann. Ich glaube, das Musikland Österreich hat seine Sprache wiedergefunden. Auch die elektronische Musik erlebt einen noch nie da gewesenen Höhenflug! Aber an den Schulen wird auf diese Strömungen viel zu wenig eingegangen. Wenn man junge Menschen wirklich erreichen will, muss man sie bei ihrer Musik "abholen".

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